Menschen und Maechte
Interesses und über unsere Gesprächspartner berichtet. Mir sind die erzenen Tore der Kathedrale im Kreml von Nowgorod und vor allem die städtebauliche Schönheit Leningrads in besonders guter Erinnerung: die hellen Mittsommernächte in der sehr europäisch wirkenden Stadt am Finnischen Meerbusen, ihre schönen Kanäle und Kais – und natürlich der nahezu unvergleichliche Kunstreichtum der Eremitage.
Das sowjetische Außenministerium hatte dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD durch einige sorgfältig ausgesuchte sowjetische Journalisten in ausführlichen Gesprächen auf den Zahn fühlen lassen; schließlich hatte es ein dreistündiges
Gespräch mit dem damaligen stellvertretenden Außenminister Semjonow gegeben. Semjonow war später zu meiner Kanzlerzeit Botschafter in Bonn; er versteht viel von deutscher Kunst, von deutscher Geschichte und von deutschen Interessen. Er hatte das Gespräch 1966 immer wieder auf die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes gebracht und den Gedanken wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Westen angesprochen. Ich war darauf eingegangen, hatte den Schwerpunkt des Gesprächs aber auf die Stabilisierung eines strategischen Gleichgewichts in Europa gelegt und auf Gewaltverzichtvereinbarungen der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und den einzelnen osteuropäischen Staaten. Die Grenzen der DDR hatte ich dabei einbezogen; besonders an diesem Punkt zeigte sich Semjonow interessiert, ließ sich aber zu keiner Stellungnahme verlocken.
Es muß also 1974 in Moskau genug zuverlässige Quellen über meine Auffassungen der wechselseitigen Interessenlage gegeben haben. Sicher lagen entsprechende Aufzeichnungen auch aus dem Jahre 1969 vor, als meine engen Freunde Alex Möller, Egon Franke und ich, damalige Führungspersonen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, zu einem quasi-offiziellen Besuch in Moskau gewesen waren. 1969 war ein Wahljahr; die große Koalition in Bonn neigte sich dem Ende zu, die außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundeskanzler Kiesinger und Außenminister Brandt wurden zunehmend unüberbrückbar. Wir hielten einen Regierungswechsel und eine Übernahme der Kanzlerschaft durch Willy Brandt für denkbar und wollten sondieren, ob sich danach eine Möglichkeit für eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Bonn und Moskau eröffnen ließ. 1969 hatten die Moskauer Gesprächspartner höheren Rang als drei Jahre zuvor. Es waren mehrere wichtige ZK-Mitglieder sowie Mitarbeiter des Politbüros und des Außenministeriums dabei gewesen, darunter Valentin Falin, der spätere Botschafter in Bonn, ein Mann mit konzeptioneller Begabung. Vor allem aber hatte uns Gromyko im Spiridonow-Palais zu einem ausführlichen Gespräch empfangen; da Gromyko damals dem Politbüro noch nicht angehörte, waren wir außerdem von dem Politbüro-Mitglied Poljanskij empfangen worden.
Abb 30 Im Sommer 1966 unternahm Helmut Schmidt eine private Reise durch den Westteil der Sowjetunion.
Das Photo zeigt ihn zusammen mit Frau Loki und Tochter Susanne vor der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz.
Abb 31 Auf dem Markt in Nowgorod.
In der Moskauer U-Bahn.
Im Gespräch mit Gromyko hatte ich praktisch die spätere Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel skizziert, ohne zu wissen, ob es je eine solche Regierung geben würde. Ich hatte zur Eröffnung deutlich gemacht, die Deutschen würden nie auf die Hoffnung verzichten, in einem Hause zu leben; sie seien überzeugt, vor der Geschichte dieses Recht zu besitzen. Aber angesichts der tatsächlichen Lage seien wir bereit, auf der Grundlage der Gleichberechtigung Verträge mit der DDR zu schließen, darunter einen völkerrechtswirksamen Gewaltverzichtvertrag, der alle Grenzen der DDR einschließe. Gromyko hatte sich dazu nicht geäußert, statt dessen hatte er vor allem von West-Berlin gesprochen: in dieser Hinsicht seien unsere Standpunkte grundsätzlich verschieden.
Im ganzen hatte das Gespräch viele aktuelle und prinzipielle Fragen der internationalen Politik behandelt. Am Ende hatte Gromyko von den Deutschen mehr Elastizität und Flexibilität gefordert, und ich hatte geantwortet: »Elastizität kann dann eine Tugend sein, wenn sie mit festen moralischen Prinzipien gepaart ist. Aber politische Vorteile bringt sie nur dann, wenn beide Partner Elastizität zeigen.« Das Gespräch mit Poljanskij war ähnlich verlaufen, wenn auch kursorischer.
Alle Äußerungen wurden auf beiden Seiten sorgfältig festgehalten und
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