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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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mit den Sowjets, mit den Polen und den anderen Anrainern in der östlichen Hälfte des Kontinents bemüht sein. Diese doppelte Aufgabe ist ungeheuer schwierig. Sie unbeirrbar zu verfolgen, weckt von Zeit zu Zeit Argwohn gegen uns Deutsche – mal im Osten, mal im Westen. Auch davon wird in diesem Buche zu berichten sein.
    Seit Beginn der siebziger Jahre ist die Bundesrepublik nicht länger mehr ein politischer Zwerg. Unser Sechzig-Millionen-Staat hat nicht nur eine der großen, der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt entwickelt, er hat in den siebziger Jahren auch gelernt, eine seinem Gewicht und seiner geographischen und geschichtlichen Situation entsprechende politische Rolle in der Welt zu spielen. Dies war kein einfacher Prozeß. Viele Staatslenker, auch außerhalb unserer unmittelbaren geographischen Nachbarschaft, haben dabei geholfen – wie sie umgekehrt auch unsere Hilfe in Anspruch genommen haben.
    Ich habe mir in über drei Jahrzehnten parlamentarisch-politischer Arbeit – in mehr als acht Kanzlerjahren, in dreizehn Jahren der Zugehörigkeit zur Bundesregierung und auch seither – immer Mühe gegeben, zur Verständigung zwischen den Völkern beizutragen. Die Aufgabe bleibt riesenhaft und stellt sich für jede Generation erneut. Denn der Frieden wird nicht ein für allemal hergestellt, er muß vielmehr immer wieder neu gestiftet werden. Ihm in meiner Generation zu dienen, habe ich als meine wichtigste Pflicht angesehen. Ich weiß: meine Gesprächspartner jenseits der Grenzen sahen ihre Aufgabe nicht viel anders. Dennoch führen Interessenkonflikte, Fehlinterpretationen eigener und fremder Interessen, aber auch innenpolitische Zwänge immer wieder zu gefährlicher
Zuspitzung. Deshalb ist es nötig, die Interessen, die Ängste und die Hoffnungen der anderen Völker und ihrer Regierungen zu erkennen. Wer von Feindbildern ausgeht, der kann den Frieden nicht stiften. Wer mit den anderen nicht redet und wer ihnen nicht zuhört, der kann sie nicht verstehen. Dies Buch ist vor allem ein Ergebnis des Gesprächs mit den Staatsmännern der Weltmächte. Ich bin ihnen dankbar.
    Außerdem liegt mir am Herzen, für Anregungen und Kritik meinen Dank denjenigen auszusprechen, die mir bei der Korrektur des Manuskriptes geholfen haben, nämlich Kurt Becker, Willi Berkhan, Klaus Bölling, Gerd Bucerius, Jens Fischer, Manfred Lahnstein, Ruth Loah, Hans Matthöfer, Lothar Rühl, Eugen Selbmann, Manfred Schüler, Horst Schulmann, Walter Stützle und meiner Frau. Nicht alle Kritik habe ich aufgenommen; die Verantwortung für Fehler und Mängel in Erinnerung und Urteil fällt allein auf mich.
    Ich habe das Manuskript 1984 begonnen und habe es – anderer laufender Arbeiten wegen – erst jetzt abschließen können. Ich hoffe, noch Zeit genug zu haben, in einem weiteren Band meine Eindrücke im Umgang mit den Staaten Europas und seinen Staatslenkern vorzulegen, vor allem mit dem Blick auf Frankreich und auf Europa als Ganzes.

    Hamburg, im April 1987
    Helmut Schmidt

Mit den Russen leben

    Im Mai 1973 traf ich in der damaligen Amtswohnung des Bundeskanzlers Brandt zum ersten Mal den sowjetischen Generalsekretär Breschnew. Das war der Beginn eines sehr besonderen und persönlichen Verhältnisses zwischen einem emotionalen, zugleich aber der politischen Kalkulation durchaus fähigen Großrussen und einem zwar kühlen, aber keineswegs emotionsfreien Norddeutschen. Brandt gab ein kleines, eher privates Abendessen für vielleicht zehn oder zwölf Personen. Da sich Brandt und Breschnew – wie auch die beiden Außenminister Scheel und Gromyko – in den vorangegangenen Jahren schon mehrfach begegnet waren, verlief die Unterhaltung locker und informell, wenngleich sie natürlich konsekutiv, das heißt absatzweise gedolmetscht und deshalb vielfach unterbrochen werden mußte. Konsekutive Übersetzung schafft unvermeidlich Zwangspausen, in denen man Zeit hat, seine Gedanken sorgfältig zu ordnen. Das Gespräch verliert dadurch an Spontaneität, gewinnt aber zugleich an Klarheit.
    Im Laufe des Abends geriet Breschnew-ob kalkuliert oder aus einer momentanen Stimmung heraus, blieb mir unklar – in einen Monolog über die Leiden der Völker der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges. Besonders die Menschen in der Ukraine, wo er selber als Generalmajor Politkommissar der 18. Armee gewesen war, hätten unsäglich gelitten. Breschnew steigerte sich in eine bewegte und bewegende Schilderung immer neuer Details der Verluste, der

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