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Menschen wie Götter

Menschen wie Götter

Titel: Menschen wie Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Snegow
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das nicht minder wichtig wäre als die Lösung des Rätsels um den Untergang der Expedition. „Wir bitten Sie, über das, was ich Ihnen mitgeteilt habe, nachzudenken.“
    „Das will ich tun“, sagte ich, und Romeros Gestalt löste sich auf.
    Ich zog mir den Wettermantel über und begab mich erneut in den Garten des achtzigsten Geschosses hinauf. Bald darauf gesellte sich Mary zu mir. Ich legte meinen Arm um sie, und wir schmiegten uns aneinander. Der klare Morgen hatte sich in düsteren Abend verwandelt, weder die Wolken noch die Bäume des Boulevards, noch etwa die Gewächse des sechzigsten Geschosses waren zu sehen. Allein der Regen war jetzt in der Welt, glänzend, stimmgewaltig, wohlklingend, derart berauscht von sich selbst und ungestüm, daß ich bedauerte, keine Flügel zu haben. Ich hätte gegen die Ströme dieses frohlockenden Wassers ankämpfen mögen, Flüge mit den Aviettes vermitteln kein so starkes Gefühl.
    „Ich weiß, woran du denkst“, sagte Mary.
    „Ja, Mary“, antwortete ich. „Vor genau dreißig Jahren bin ich bei ebenso einem Fest des Sommergewitters in den Wasserströmen umhergejagt, und du warfst mir vor, ich zöge eine Schau ab in der Luft.
    Wir sind älter geworden, Mary. In dem Geflecht der elektrischen Entladungen könnte ich mich heut nicht mehr behaupten.“
    Mitunter erschreckte es mich, um wieviel besser Mary meine Empfindungen versteht als ich selbst. Sie lächelte bekümmert.
    „Du hast etwas anderes gedacht.
    Es tut dir leid, daß du nicht in jenem Winkel des Weltalls gewesen bist, wo unsere Freunde ums Leben gekommen sind. Du bildest dir ein, die Expedition hätte keine derartigen Verluste erlitten, wärest du dabeigewesen.“
    Ich diktiere diesen Text in einem anderszeitlichen Existenzkokon. Was das bedeutet, erkläre ich später.
    Vor mir schwebt in einem Kraftfeld bewegungslos eine durchsichtige Kapsel mit dem ewig unverweslichen Leichnam des widerwärtigen Verräters, der uns in einen ausweglosen Abgrund stürzte. Die Raumbildschirme zeigen die Landschaft einer unvorstellbaren, unzulässigen Welt, die Hölle eines katastrophalen Sternenstrudels. Von dieser ungeheuerlichen Welt weiß ich völlig sicher, daß sie nicht mein, nicht menschlich ist, feind nicht nur allem Lebendigen, sondern allem Vernünftigen. Und ich glaube nicht mehr, daß meine Anwesenheit eine Garantie gegen Verluste ist.
    Ich trage die Verantwortung für unsere Expedition, und ich führe sie bewußt einen Weg, an dessen Ende wahrscheinlich der Tod steht. Das ist die Wahrheit.
    Sollten diese Aufzeichnungen durch irgendein Wunder zur Erde gelangen, so mögen die Menschen wissen : Ich sehe die drohende Wahrheit in ihrem ganzen Ausmaß, und im ganzen Ausmaß bin ich mir meiner Schuld bewußt. Rechtfertigungen habe ich nicht. Das ist keine Verzweiflung, sondern Einsicht.
    Doch an jenem Tag auf der schönen grünen Erde, der unerreichbar, unvorstellbar fernen Erde, antwortete ich meiner Frau zur lauten Musik des sommerlichen Wolkenbruchs voller Trauer: „Ich möchte manches, Mary! Die Wünsche verstärken das Beharrungsvermögen der Existenz, zunächst schleppen sie uns vorwärts, dann verzögern sie unser Welken. Jugend und Alter wünschen mehr, als möglich ist. Ich sage dir, ich bin zu alt für meine Wünsche. Uns bleibt eins, meine Freundin: still dahinzuwelken. Still dahinzuwelken, Mary!“

2
     
    Ich war nicht auf dem Kosmodrom, als das Sternenflugzeug aus dem Perseus landete, der Gedenksitzung des Großen Rates blieb ich fern. Die Raumbildschirme in meinem Zimmer schaltete ich nicht ein. Mary schilderte mir die erhabene Trauer der Zeremonie, als die sterblichen Überreste der Astronauten auf die Erde übergeführt wurden. Weinend war sie vom Kosmodrom zurückgekommen. Ich hörte sie an und ging dann schweigend in mein Zimmer.
    In den ersten Jahren unserer Bekanntschaft halte mein Verhalten sie gekränkt, und sie hätte mich gefühllos gescholten. Jetzt verstand sie mich. Krankheiten gibt es schon lange nicht mehr auf Erden, selbst das Wort „Arzt“ ist außer Gebrauch. Aber nur als Krankheit läßt sich der Zustand bezeichnen, in den mich der Bericht über Allans und Leonids Expedition stürzte. „Es ist erschütternd“, hatte Romero gesagt, als er mir die Rolle gab, in der alle Ereignisse aufgezeichnet sind vom Start auf dem Dritten Planeten im Perseus bis zur Rückkehr der Schiffe mit den toten Besatzungen zur Basis. Das war mehr als erschütternd. Davon mußte man schwer krank

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