Menschen wie Götter
Gegenzeit.“
Mit ihm vollzog sich das gleiche Wunder wie mit mir. Er verstand sofort, er glaubte sofort! Das Wort „perpendikulär“ tönte nicht, sondern erleuchtete.
Das war Erleuchtung, nicht Erläuterung. Oleg schaute mich begeistert an, ich konnte mich an diesem Effekt weiden. Doch er sagte, was ein Geschwaderkommandeur sagen mußte: „Ja, selbstverständlich, das wäre die Lösung. Aber gibt es die perpendikuläre Zeit? Können wir sie in den Griff bekommen?“
„Laß uns alle Argumente für und wider einschätzen.“
„Sprich du, ich werde Einwände erheben, wenn ich welche finde.“
Erst jetzt war die Zeit des Erwägens gekommen.
Und mit derselben Gewißheit der Wahrheit, die sich meiner bemächtigte, als mir die Formel „perpendikuläre Zeit“ entschlüpfte, wußte ich, daß ich unwiderlegbare Beweise finden und alle Zweifel zerstreuen würde. Die Erleuchtung mußte sich in Wissen verwandeln, aus der Voraussicht mußte Theorie werden!
Und ich begann damit, daß wir bisher nur die eindimensionale Zeit kannten, die eindimensional war und einsinnig gerichtet: Sie verlief von der Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft, streckte sich zu einer Linie, wies in eine einzige Richtung. Nur so gingen unsere kleinen Prozesse in unserer kleinen Welt vonstatten. Wir glaubten, daß es anders nicht möglich sei. Und als wir im Kern auf eine biegsame und nichtlineare Zeit stießen, verstanden wir ihr Wesen nicht, meinten, daß die Zeit hier reiße, daß sie instabil sei, und voller Angst sprachen wir vom gerissenen Zeitenband.
„Mit anderen Worten, du behauptest, daß die Zeit nicht zerreißt?“
„Ja, das behaupte ich. Der Riß der Zeit ist nur unsere Vorstellung von einem weit komplizierteren Prozeß ihrer Krümmung. Die reale Zeit ist zweidimensional, man kann sie durch Vektoren auf einer Ebene darstellen, doch wir studieren lediglich ihre Projektionen auf eine Achse und bilden uns ein, daß außer der Projektion nichts existiere. Und wenn die Zeit seitwärts verläuft, perpendikulär, senkrecht zur Achse, und darauf eine Unterbrechung erscheint, ein leeres Intervall, sehen wir voller Entsetzen einen Riß. Nein, die Zeit reißt nicht, sie ist unaufhörlich, aber sie ist nicht nur vorwärts gerichtet, nicht nur rückwärts, sondern auch seitwärts. Und ich erinnere dich“, fügte ich hinzu, selber verblüfft von der Erinnerung, „daß Oan uns einst ebenfalls von den Krümmungen der Zeit sprach, nur maßen wir seinen Worten keine Bedeutung bei.“
„Das liegt daran, daß wir Mühe haben, uns die Zeitkrümmungen vorzustellen“, sagte Oleg.
„Kann man sich die Krümmung des leeren Raums vorstellen? Die nichteuklidische Metrik der Leere?
Ich versichere dir, das ist noch schwerer. Oan stieß uns auf eine Entdeckung, aber damals waren wir von einem neuen Zeitbegriff weit entfernt. Inzwischen hätte alles ringsum uns zu ihm hinführen müssen. Das ist die erstaunliche Tatsache. Im Weltall ist keine Gleichzeitigkeit. Die Gleichzeitigkeit der Welt ist eine Abstraktion. Genau so eine Abstraktion wie der geometrische Körper, bar physikalischer Eigenschaften. Wir selbst haben uns diese Abstraktion ausgedacht, und sie verwirrt uns maßlos, sie erklärt die Welt nicht, sondern verdunkelt sie. Real ist jeder beliebige Körper in der Welt ungleichzeitig. Jeder beliebige Prozeß, der augenblicklich verläuft, wie uns scheint, ist nur eine statische Resultante unendlich verschiedener, voneinander unendlich ferner Epochen, die nur im gegebenen Augenblick im gegebenen Punkt eines gegebenen Körpers zusammengeströmt sind.“
„Paradox, Eli. Diese Behauptung mußt du begründen.“
Die Begründung fiel mir nicht schwer. „Jedes Objekt existiert in seiner individuellen Zeit, das ist so.
Aber isolierte Objekte gibt es nicht, alles ringsum steht mit seiner Umgebung in Wechselwirkung Atom mit Atom, Stern mit Stern, Galaxis mit Galaxien. Dieser Zusammenhang ist real, aber ist er gleichzeitig? In keinem Falle! Wir sehen einen nahen Stern, wie er vor zehn Jahren gewesen ist, einen fernen, wie er vor Tausenden Jahren gewesen ist, die Galaxisperipherie, wie sie vor Hunderttausenden von Jahren gewesen ist, und andere Galaxien sind für uns heute sichtbar, wie sie vor Millionen und aber Millionen Jahren gewesen sind. Das ist sie, unsere Landschaft in dieser Minute; das Bild der Welt in einem Augenblick setzt sich aus zahllosen Pinselstrichen verschiedener Epochen zusammen, die nur in unserer eingebildeten
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