Menschenskinder
trotzdem nicht ein, dass ein Beamter zum Beispiel besser Auto fahren soll als ein Normalbürger und deshalb sein Fahrzeug preiswerter versichern darf. Und wenn die Zwillinge nicht gerade die schuleigenen Computer klauen, einen Kollegen meucheln oder zum Islam übertreten und Kopftuch tragen, können sie bis zum gesetzlich geregelten Pensionsalter nie mehr aus dem Schuldienst entlassen werden.
Der neue Status muss wohl in Nicole den Wunsch nach einer Neuordnung ihres Privatlebens geweckt haben, und da Jörg ebenfalls festen Fuß gefasst und die untersten Sprossen der beruflichen Karriereleiter bereits überwunden hatte, sollten anscheinend die noch fehlenden Voraussetzungen zur Familiengründung geschaffen werden, nämlich die amtliche Sanktionierung eines eheähnlichen Verhältnisses. Letztendlich muss man auch an die Eltern der Schüler denken … in der Provinz sind die meisten noch heute viel konservativer als in der Großstadt … hier ist man als Lehrerin immer noch eine Art Vorbild … außerdem gibt es für Verheiratete mehr Geld, und der Ehemann darf dann ebenfalls zum Beamtentarif Auto fahren.
Aber noch war es nicht so weit. Wenn ich Steffi vorhin richtig verstanden hatte, war die Hochzeit erst für Juni geplant, jetzt hatten wir Anfang Januar, ich litt noch unter den Nachwehen des familienintensiven Weihnachtsfestes, und mein Sinn stand zur Zeit mehr nach Pinacolada unter Palmen als nach Hochzeitstorte unterm Fliederbusch. Und überhaupt durfte ich doch noch gar nichts davon wissen. Wahrscheinlich würden wir das ganz offiziell erst am kommenden Sonntag erfahren, oder weshalb sonst hätten uns Tochter und potenzieller Schwiegersohn zum Mittagessen eingeladen?
Kapitel 2
N och immer herrscht in der Nachbarschaft Erstaunen darüber, dass Rolf und ich getrennt Urlaub machen. Aufkommende Gerüchte, die von »ha no, Hauptsach’, es bleibt beim Tapetenwechsel und sie wechslet net au no ebbes andres« bis zu »was glaub’sch, lasset die sich auf ihre alte Däg’ au no scheide?« reichen, versuche ich abzuwenden, indem ich die obligatorischen Ansichtskarten von Stefanie mitunterschreiben lasse. Man kennt sie, schließlich ist sie hier aufgewachsen, verheiratet ist sie auch … also wird sie ihre Mutter schon im Auge behalten.
Rolf gegenüber sind die Nachbarn toleranter. Ob es nun daran liegt, dass er vor Antritt seines Urlaubs jedes Mal demonstrativ seine Angel-Utensilien im Garten ausbreitet und so über den Zweck seiner Reise keine Zweifel aufkommen lässt meines Wissens ist noch nie jemand zum Angeln nach Thailand geflogen! –, oder ob ihm als Mann ein größerer Freiraum zugestanden wird, weiß ich nicht, doch der Grund unserer alljährlichen ›Trennung‹ ist ganz einfach: Er braucht zu seinem Wohlbefinden kühleres Wetter als ich (also ungefähr 15 Grad Unterschied zu mir), findet gelegentliche Regenschauer, die ruhig mal ein paar Tage dauern können, keineswegs deprimierend, und Angeln (korrekt heißt das ja wohl »Fischen«, den feinen Unterschied hat er mir schon -zigmal erklärt, begriffen habe ich ihn trotzdem nicht) hält er für das Nonplusultra eines gelungenen Urlaubs. Und wo findet er die grünen Landschaften mit den klaren Seen, den so erfrischend kühlen Tagen und der abendlichen Pint Ale oder Stout im ach so gemütlich verräucherten Pub? Richtig! In Schottland. Oder Irland. Norwegen ist auch schon dran gewesen, muss aber nicht so doll gewesen sein. Neulich habe ich auf Rolfs Schreibtisch Prospekte von Kanada gefunden …
Ich
dagegen habe schon als Zwanzigjährige nach meinem ersten Urlaub in Italien festgestellt, dass ich, wenn schon nicht auf dem falschen Kontinent, so doch zumindest im falschen Land geboren bin. Mentalitätsmäßig gehöre ich nämlich viel weiter nach Süden, Griechenland zum Beispiel, die Kanaren wären auch nicht schlecht, nur in unseren Breitengraden hätte ich nicht zur Welt kommen dürfen. Ich hasse unsere trübgrauen Winter, die jedes Jahr länger dauern und manchmal erst im April ahnen lassen, dass es doch noch eine Jahreszeit nach Nebel und Nieselregen geben kann. Und nur deshalb heißt spätestens im Februar meine Devise: Ab in die Sonne, egal wohin, Hauptsache, es gibt ein warmes Meer mit einem Strand, der zumindest Liegestuhlbreite haben sollte, eine Schatten spendende Palme wäre angenehm, zur Not tut’s aber auch ein Schirm, dazu ein Stapel Bücher und in unmittelbarer Nähe keine Zeitgenossen, die mir bereits am ersten Abend ihre Lebensgeschichte
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