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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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eines Zopfes über der rechten Schulter hängend und war bekleidet mit einem knöchellangen Lodenkostüm, Wollstrümpfen und Knopfstiefeln. Etwas deplaziert die Aktentasche neben dem Computer, ich hätte eher einen wasserdichten Rucksack erwartet, wie man ihn zu einer Wanderung durch den kambodschanischen Dschungel brauchen würde. Einer genauen Hinterfragung meiner individuellen Vorstellungen konnte ich mit heftigem Winken durch die Schaufensterscheibe entgehen, denn Steffi hatte bereits mehrmals auf die Hupe gedrückt. »Vielen Dank, ich melde mich wieder!«, schwindelte ich, stürzte hinaus und schaffte es gerade noch ins Auto, bevor die Ampel umsprang.
    »Ist es auch der richtige?« Nur einen flüchtigen Blick warf sie auf den Katalog, dann musste sie sich wieder auf den Verkehr konzentrieren. Außer uns schienen sich nämlich zwei Drittel aller Heidelberger Autofahrer auf der vorweihnachtlichen Shoppingtour zu befinden.
    Es war dann doch nicht der richtige Katalog, er hatte nur so ähnlich ausgesehen, aber Steffi fand trotzdem etwas Interessantes. »Wolltest du nicht schon immer mal nach Asien?«
    »Natürlich, aber da spielt ihr doch nie mit!` Dabei soll es zum Beispiel in Thailand wunderschöne Ecken geben, man muss nur eine finden, in der Deutsch noch nicht zur zweiten Amtssprache erhoben worden ist.«
    Wir saßen vor dem Adventkranz mit seinen zwei brennenden Kerzen, tranken Tee mit Karamellgeschmack (vorhin gekauft, durchaus empfehlenswert) und scherten uns herzlich wenig um das Chaos von Tüten, Schachteln, Kassenzetteln, Weihnachtsgebäck und Taschenbüchern (beide können wir an keiner Buchhandlung vorbeigehen, außerdem mussten wir langsam anfangen, die Urlaubslektüre aufeinander abzustimmen!). Hannes hatte die Flucht ergriffen und sich in seinen Eisenbahn-Keller zurückgezogen, wir waren also ungestört.
    »Jetzt weiß ich, was ich vergessen habe!« Steffi durchwühlte ihre Hosentaschen und wurde fündig. »Dabei hatte ich es doch extra notiert.« Sie faltete einen eng beschriebenen Zettel auseinander.
    »Was denn?«
    »Die Püppis!«
    Sehr intelligent kann ich nicht ausgesehen haben, denn sie lachte laut los. »Nein, nicht was du vielleicht denkst, meine Toleranz hat Grenzen! Ich meine die Figuren für seine Huschebahn. Bloß Bäume und Häuser sind ja langweilig, es gehören doch auch Menschen dazu. Neulich habe ich lauter Nackerte gesehen, ich hatte bloß zu wenig Geld mit, aber die kaufe ich noch. Dann soll Hannes an seinem See einfach einen FKK-Strand anlegen.«
    Ich habe berechtigte Zweifel, ob es jemals dazu kommen wird. Als der damals mit meiner Tochter noch nicht verheiratete, jedoch relativ frisch Verliebte zusammen mit der Wohnung den zusätzlichen Keller gekauft hatte, um endlich genügend Platz für seine raumfüllende Eisenbahnanlage zu haben, hatte er in jeder freien Minute da unten herumgewurstelt, um das eigentlich für Weinregale, Winterkartoffeln und das übliche Sonstige vorgesehene Gelass überhaupt bewohnbar zu machen. Jetzt hat es eine Holzdecke und isolierte Wände, lässt sich beheizen, und bei dem billigen Restposten Teppichboden, verziert mit Hampelmännern, Schaukelpferdchen und ähnlich dezenten Motiven, hatte Steffi sofort zugegriffen. »Etwas Passenderes hätte ich gar nicht finden können!«
    Die Eisenbahn wurde auch noch installiert. Doch seitdem die Gleise liegen, die ich weiß nicht wie viele Bahnen befahren können, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen, und auch der Grundriss für die »Gestaltung der Außenanlagen« fertig ist, hat sich da unten nichts mehr getan. Schuld daran war der Computer im Gästezimmer. Und die Spiele für den Computer. Dann kam ein Zusatzteil für den Computer, mit dem Hannes endlich jene Videofilme schneiden und bearbeiten konnte, die er schon seit Jahren von den Reisen mitbringt, von denen aber noch kein Mensch auch nur einen Meter gesehen hat. Das wird auch weiterhin dauern, denn er übt immer noch! Wenig später kam ein zweiter Computer ins Haus, weil Steffi zwar keine Filme schneiden, aber ihre Privatpost erledigen wollte und sich auch gern ein bisschen mit grafischen Spielereien beschäftigt. Und seitdem sie am Internet hängen, geht Hannes in seinen Eisenbahnkeller nur noch zu Kontrollzwecken; es könnte ja sein, dass die Lokomotiven allmählich anfangen zu rosten.
    »Was hältst du von Sri Lanka?« Steffi hatte sich bereits in den Katalog vertieft.
    »Ich denke, du suchst etwas Individuelles? Sri Lanka gehört bekanntlich

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