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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cliffhanger
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Tim Binding
     
    Cliffhanger
     
     
    E s klang ganz einfach. »Audrey«,
sagte ich. »Audrey, wie wär's, wenn wir ein bisschen rausgehen, einen
Spaziergang machen?«
    »Bei dem Wetter?«
    »Uns ein bisschen den Kopf durchpusten lassen«, sagte ich,
während ich mir die Schuhe anzog, und sie zuckte die Achseln und sagte: »Wieso
nicht?«
    Weil ich dich von der Scheißklippe stoßen werde, Audrey,
deshalb nicht.
    Das dachte ich, sagte
es aber nicht, klaro. Aber sie guckte mich komisch an.
    »All die Jahre«, sagte sie, »die wir jetzt am Meer leben,
hast du kaum mal einen Fuß vor die Tür gesetzt, und ausgerechnet jetzt willst
du mit mir spazieren gehen. Es fängt jeden Moment an zu schütten.«
    »Dann mach ich uns einen schönen heißen Grog, wenn wir wiederkommen.
Zünde den Kamin an. Lass die Korken knallen. Wir machen uns 'nen richtig
kuscheligen Abend.«
    »Ach, darum geht's. Naja, ist ja auch schon ein Weilchen
her.« Und sie lächelte, hoffte, dass ich zurücklächeln würde. Na, wer würde das
nicht tun?
    Also Taktikwechsel. Ich musste sie wütend machen.
    »So kann man das auch ausdrücken. Passender wäre, am
ausgestreckten Arm verhungern lassen.«
    Ihr Gesicht erstarrte.
    »Nicht wieder die alte Leier, Al.«
    »Na, immer bin ich derjenige, der angebettelt kommen muss,
oder? Ich meine, wann ist denn das letzte Mal irgendwas von dir ausgegangen?
Ich kann mich nicht erinnern, und ich hab ein besseres Gedächtnis als du. Und
wenn du mal aktiv wirst, dann so, als müsstest du dir einen dabei abbrechen.
Du solltest mehr aus dir rausgehen, ein bisschen leben.«
    Und prompt ging sie an die Decke. Sie schoss ein paar Salven
auf mich ab, Worte schwirrten mir um die Ohren wie Kugeln. Aber es
funktionierte. Sie stürmte zur Haustür raus, die zerfurchte Straße hinunter,
vor aller Augen, den Kopf in den Wind gebeugt, und ihr gelber Regenmantel, so
einer, wie ihn die Männer von der Seenotrettung tragen, flatterte ihr um die
Beine.
    Ich wartete ein paar Minuten, dann schlüpfte ich durch die
Hintertür nach draußen.
    Ich wusste, wo sie hinwollte, wo sie immer hinging, den
Pfad hoch zum Kliff und dann oben entlang, wo sie stehen bleiben würde, an der
Stelle, wo der Pfad abwärts in die kleine Senke führt, sodass man ein bisschen
geschützt ist und bis rüber nach Portland Bill schauen kann, während tief unter
einem das Meer tost. Ich konnte gut verstehen, dass sie gern dahin ging. Es ist
ein nettes Plätzchen. Ich war selbst ein-, zweimal dort.
    Wichtig ist, dass zwei Wege dorthin führen. Der hintere
Weg, querfeldein, ist länger, dicht an den Hecken lang und dann über die
Feldwege, immer den Fuhrwerkspuren nach - die aber längst nicht mehr von
Fuhrwerken stammen, sondern von Traktoren und Mähdreschern und den schicken
Geländewagen der ach so armen Farmer, aber wenn man einen Ort lange kennt,
sind die frühen Erinnerungen nun mal die prägendsten. Als ich klein war, gab es
bei uns in der Gegend noch Pferde; Pferde und Jerseykühe und Männer, die einem
mit Sensen den Rasen schnitten. Ist gar nicht mal so lang her. In den
Sechzigern, Anfang der Siebziger. Damals veränderte sich noch nicht alles so
rasend schnell. Nicht wie heute. Heute trifft man rasch Entscheidungen und
handelt ohne Zögern. Wenigstens meiner Erfahrung nach.
     
    Eigentlich hatte ich erst vor einem Monat beschlossen,
Audrey loszuwerden. Der Gedanke, wie toll es doch ohne sie wäre, hatte zwar
schon länger in mir gegärt, aber der Entschluss war dann ganz plötzlich
gekommen, ja, das mache ich, ich servier meine bessere Hälfte ab. Und sobald
diese Idee in meinem Kopf auftauchte, kam sie mir total einleuchtend vor. Wieso
nicht? Sie hatte ein gutes Leben gehabt. Kein berauschendes, aber ohne viel
Grund, sich zu beschweren. Regelmäßiges Geld. Einen Bungalow mit zwei Bädern.
Eine erwachsene Tochter in Sydney. Tolles Kind. Ruft natürlich nie an, aber
welche Kinder machen das schon? Sie verdrücken sich einfach und lassen euch
beide zurück, ohne irgendwas, worauf ihr euch freuen könnt, bis auf die
Aussicht, euch bis ans Ende eurer Tage von einander gegenüberstehenden Sesseln
aus anzustarren. Das ist ungesund.
    Also, tut mir leid, Liebes, aber du musst weg. Aber nichts
Fieses wie Gift oder Erwürgen oder ihr den typischen Blick mit einem
Baseballschläger für immer aus dem Gesicht zu treiben. Irgendwas, das schon so
gut wie vorbei ist, ehe sie es überhaupt mitkriegt. Ein kleiner Schubser ins
Kreuz, und beim Fallen ist sie nicht mal

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