MERS
und, zu Ehren der Gelegenheit, eine Yachtmütze aus dem letzten Jahrhundert. Wenn das den Eindruck vermittelt, daß er ein falscher Fünfziger war, so trügt dieser Eindruck. Er war kultiviert, ein fähiger Wissenschaftler, ein gemütlicher Familienmensch, und er gab nicht das Geringste auf den äußeren Eindruck.
»Kommt an Bord! Gila ist irgendwo da unten und schneidet Käse, denke ich. Jenny ist unten im Salon und spielt irgendein lächerliches Brettspiel mit Chuck. Es fehlt nur noch Michael, und dann geht’s los!«
Wir kannten Michael gut. Er war ein alter Freund, Archäologe, Gatte meiner Natalya. Ohne die beiden hätte es keinen Dr. Fateya, kein Erzurum, keinen Impfstoff gegeben. Natya war eingeladen worden, hatte jedoch Arbeit vorgeschützt. Hausarbeit, dachte ich, denn am Institut gab es nur wenig zu tun. Chuck war, wie wir entdeckten, ein älterer Bühnendirektor an der Staatsoper, natürlich von Amerika, auf Besuch.
Magnus stellte uns der Runde vor und verfrachtete uns daraufhin mit Drinks und Helga Chavas Freundin ins Ruderhaus. Sie tat mir leid. Selbst in jenen Tagen war das Dasein als homosexuelle Gattin viel weniger bedeutend als eine Hetero-Frau oder als Ehemann. Annie ging nach unten, sie suchte Chuck und Jenny. Auf dem Niedergang begegnete ihr Gila, die Platten mit geräuchertem Käse und Knäckebrot heraufbrachte. Dann traf Michael ein, und wir legten ab.
Knolle war der kleinste der Seen. Innerhalb einer halben Stunde waren wir durch den Felskanal am anderen Ende hindurch und befanden uns auf dem großen Wasser. Der Tag war vollkommen. Das wenige an Wind, was es gab, kam von achtern, und der Katamaran der Asgeirsons glitt praktisch völlig lautlos und so glatt wie auf Seide dahin. Es war ein anmutiges Schiff aus traditionellem weißen Fiberglas, und die Ausstattung war aus importierter tasmanischer Gummitanne: ein getäfelter Decksalon floß elegant in das Allwetter-Ruderhaus hinüber, und die nach hinten geneigten Masten, woran farbenfrohe Clubwimpel herabhingen, verliehen ihr eine stilvolle, altmodische Aura. Wir fuhren zur Mitte des Marandelsees, und die baumgesäumten Ufer zu beiden Seiten waren lediglich ferne, blaugrüne, verwischte Flecke. Die Berge vor uns spiegelten sich überraschend klar und deutlich im Wasser. Eine Zeit lang waren wir die einzigen, die sich bewegten, die einzigen Eindringlinge aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert in dem ganzen weiten Panorama. Dann kam eine Schar kleiner Boote mit großen, weißen Segeln um eine Halbinsel, die anmutig in der Brise auf- und niedertauchten.
Als Gila nach unten ging, um das Essen zu servieren, folgte ich ihr. Frauenarbeit. Selbst bei weiterem Fortschreiten des Bevölkerungsrückgangs würden Männer und Frauen noch immer bis zum bitteren Ende ihre Rollen spielen. Rollen waren schön. Sie verliehen dem Gestaltlosen Gestalt, warfen Schatten für Helga Chavas Freundin, gaben Identität dem Identitätslosen.
Wie Dr. Marton versprochen hatte, war das Essen ausgezeichnet. Wir aßen oben im Decksalon, wobei wir Chuck, die Mädchen und das Brettspiel gewaltsam an die Luft setzten, und die Leute bedienten sich selbst. Das Gespräch war sprunghaft. Ich glaube, wir waren von der Schönheit benommen, sowie, wenn schon nicht von der Wärme, so doch vom Fehlen von Kälte.
In einem Land mit einem so langen Winter wie bei uns klammern wir uns an die gedankliche Vorstellung des Sommers. Also saßen wir in unseren Wollsachen und Parkas draußen auf dem Vordeck der Asgeirsons und aßen das wunderbare Essen der Asgeirsons und tranken den wunderbaren Wein der Asgeirsons und sahen zu, wie der See vorüberzog.
Und hörten, wie in meinem Fall, auf, an Sergeant Milhaus, Dr. Marton und die Ministerin zu denken. Ich hoffe, den anderen ging es ähnlich, wenn sie es nötig hatten.
Jemand, unsere junge französische Schriftstellerin war es wohl, erwähnte die kommenden Wahlen. Helga Chavas Freundin sagte, daß Helga Chavas zur Wahl antreten und gewiß erfolgreich sein würde und wurde für ihre Bemühungen mit einem funkelnden Blick bedacht. Da wir kein kluges Köpfchen dabei hatten, steuerte Chuck etwas bei: er hatte einen charmanten Akzent und erzählte uns, daß die Politik in seinem Land selbst nach vierzig Jahren des Bevölkerungsrückgangs noch immer enttäuschend eintönig sei. Der US-Kongreß war zu siebzig Prozent weiblich, als einziges wirklich geändert habe sich jedoch lediglich die Tonlage der Stimmen.
Unser Archäologe hielt dies für
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