Messertänzerin
keine falsche Vorstellung hast«, flüsterte Divya ihm hinterher.In den folgenden Nächten lernte Divya schneller als in den vergangenen Jahren. Und es war etwas ganz Neues: Diesmal stahl sie ihr Wissen nicht durch heimliches Beobachten, sondern es gab wirklich jemanden, der ihr etwas beibringen wollte. Das Messerwerfen, Kämpfen und Klettern machten ihr dabei ebenso viel Spaß wie das Tanzen – ein weiterer Beweis dafür, dass beides sich sehr ähnlich war, wie sie fand. Allerdings musste sie auch lernen Kritik einzustecken. Bisher hatte sie nur versucht, so perfekt wie möglich zu imitieren. Jetzt hatte sie einen Lehrer, der ihr sofort sagte, wenn etwas falsch war. Keinen sehr nachsichtigen Lehrer.
»Du hältst das Messer, als wolltest du damit Kartoffeln schälen!« – »Du gehst vor meinem Stock in Deckung und machst die Augen zu? Willst du dich beim Kämpfen verteidigen oder willst du die Prügel blind ertragen?« – »Wenn dir deine Waffe vom Dach fällt, musst du sie selbst holen. Beim letzten Mal hattest du noch Welpenschutz, aber jetzt bist du meine Schülerin. Und ich will mein Messer zurückhaben!«
Es war ein seltsames Gefühl, an der Hauswand diesmal bis ganz unten zu klettern. Die Tiefe schreckte Divya nicht, außerdem war sie anfangs angeseilt. Aber fremden Boden zu betreten, außerhalb der Schule! Auch wenn sie in greifbarer Nähe zur Mauer blieb – sie spürte förmlich, wie die Luft um sie herum knisterte und ihr sagte, dass dies verbotenes Terrain war. Was für ein Reiz! Die nächste Straßenecke war noch nie so nah gewesen.
Mit der Zeit begriff Divya, dass Tajans Übungen für ihn nicht nur eine körperliche Herausforderung waren. Stets begann er den Unterricht mit einer »Meditation«. Etwas, wovon Divya noch nie gehört hatte und was sie zunächstauch für ziemliche Zeitverschwendung hielt. Was konnte gut daran sein, wenn man mit geschlossenen Augen herumsaß? Erst nach mehreren Monaten musste sie zugeben, dass sie diese Momente der Stille, wenn sie gemeinsam ihren »Mittelpunkt« fanden, nicht mehr missen wollte. Sie gaben ihr ein ganz neues Selbstgefühl, als wäre ihr Körper ein Werkzeug, das sie mit ihrem Geist lenken konnte, wenn sie sich konzentrierte.
An Tajans Weisheiten der Sujim, die er immer wieder in allen passenden und unpassenden Momenten beisteuerte, konnte Divya sich allerdings kaum gewöhnen. Als sie sich zum Beispiel beim Werfen an einem Messer verletzte, hatte Tajan keinen Verband für sie, sondern einen Tadel: »Du musst deine Waffen zu einem Teil von dir machen, sonst wenden sie sich gegen dich.«
»Waffen sind Gegenstände«, murmelte Divya undeutlich, während sie ihren blutenden Finger in den Mund steckte. Aber Tajan wurde wütend, als hätte sie ihn persönlich beleidigt, und ging drohend auf sie zu.
»Gegenstände, die von einem Willen beseelt sind, ja! Mit denen du eine Absicht verfolgst. Du musst deinem Messer eine Richtung weisen, und das kannst du nicht allein mit deiner Hand. Dafür brauchst du auch deinen Kopf, aber nicht diesen elenden Dickkopf.«
Divya ging ebenfalls auf ihn zu, bis ihr Gesicht dicht vor seinem war. Sie wusste nicht, wie er es immer wieder schaffte, sie so sehr in Wut zu versetzen.
»Aha! Nur du weißt also, wie man seinen Kopf benutzt? Wie erklärst du mir dann, dass ein Sujim für seinen Herrn alles tut, was der ihm befiehlt? Ist er eine Hand, die ohne Kopf kämpft?«
Tajans Augen blitzten, als wäre er kurz davor, sich mit Divya zu prügeln. Urplötzlich aber wandte er sich ab und starrte in die Nacht. Irrte sich Divya oder leierte er gerade einen Spruch über innere Ruhe mehrmals herunter?
»Warum willst du lernen, was ein Sujim kann, wenn du alles infrage stellst, wofür wir stehen?«, fragte er schließlich mit rauer Stimme. »Du hörst nicht einmal zu, wenn ich dir sage, worum es beim Kämpfen geht.«
»Ich höre immer zu«, widersprach Divya trotzig. »Das Einzige, was ich nie von dir zu hören bekomme, ist, dass ich in der kurzen Zeit schon sehr, sehr gut geworden bin. Treffe ich nicht meist das Ziel, das du mir zeigst? Klettere ich nicht inzwischen ohne Seil an der Fassade rauf und runter wie eine Eidechse? Sehe ich beim Stockkampf nicht ohne Zwinkern deinen Schlägen entgegen und weiche oft auch schon geschickt aus?« Nach Monaten des Lernens hätte sie wirklich gern mal ein Lob gehört statt seiner ständigen Kritik. »Bin ich nicht auf dem Weg, ein guter Sujim zu werden?«
Trotz seines Zorns lachte er auf. »Du
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