Die Frau des Praesidenten - Roman
PROLOG
Juni 2007, Weißes Haus
Habe ich schlimme Fehler gemacht?
Neben mir liegt mein Mann, er atmet tief und gleichmäßig, er schläft. Ganz zu Beginn unserer Ehe, in den allerersten Wochen, habe ich ihn, wenn er schnarchte, vorsichtig angesprochen und mich, sobald er reagierte, entschuldigt und ihn gebeten, sich auf die Seite zu drehen. Doch schon nach kurzer Zeit gab er mir zu verstehen, ich solle das doch einfach selbst in die Hand nehmen, ohne Worte und bitte ohne ihn zu wecken. »Roll mich einfach rum«, sagte er grinsend. »Gib mir einen richtig schönen kräftigen Stoß.« Das mochte grob sein, aber ich gewöhnte mich daran.
Heute Nacht schnarcht er allerdings nicht, und meine Schlaflosigkeit kann ich somit nicht auf ihn schieben. Auch an der Raumtemperatur kann es nicht liegen (wir haben wohltemperierte neunzehn Grad nachts und einundzwanzig Grad tagsüber, wenn wir uns beide kaum hier aufhalten). Vom Regal kommt das dezente Rauschen eines kleinen Geräts, das alle anderen Geräusche schluckt, und die heruntergelassenen Jalousien und zugezogenen Vorhänge hüllen uns in tiefe Dunkelheit. Die uns immer und überall begleitende Sorge um unsere Sicherheit ist inzwischen Routine geworden, und mehr als einmal habe ich mir gedacht, wie viel besser wir doch geschützt sind als jedes Mittelklasse-Ehepaar in seinem Vorort: Sie besitzen einen Außenstrahler an der Hausecke und eine Alarmanlage oder vielleicht einen Jack-Russell-Terrier, wir hingegen haben Leibwächter und Hubschrauber, gepanzerte Wagen, Raketenwerfer und Scharfschützen auf dem Dach. Sicherlich sind wir größeren Risiken ausgesetzt, doch der Aufwand, der um unsere Sicherheit getrieben wird, steht in keiner Relation dazu, grenzt bisweilen ans Absurde. Wie in so vielen anderen Bereichen sage ich mir, dass hier unseren Positionen entsprochen wird, dass wir nur Symbole sind und nicht als Individuen zählen.Mit einer anderen Haltung wären all die Kosten und Mühen, die wir verursachen, kaum zu ertragen. Wenn wir es nicht täten, sage ich mir immer wieder, würden andere unsere Rollen spielen.
Seit mehreren Nächten schlafe ich bereits schlecht. Dabei ist weniger das Ins-Bett-Gehen problematisch: Ich werde ganz normal müde, spüre, wie mit jeder weiteren halben Stunde nach zehn Uhr die Konzentration immer mehr nachlässt, und wenn ich, meist kurz nach elf, unter die Decke schlüpfe, ist mein Mann manchmal noch im Bad oder geht noch einige Unterlagen durch und spricht quer durch den Raum mit mir, und ich dämmere ein. Dann kommt er ins Bett, drückt sich an mich, und ich kehre noch einmal aus dem Schlaf zurück, wir sagen einander, dass wir uns lieben, und in diesem verschwommenen Augenblick fühlt es sich an, als sei uns noch immer etwas ganz Wesentliches geblieben, als seien unsere Körper in der Dunkelheit das eigentlich Reale und fast alles andere – das Preisgegebensein, die Verpflichtungen, die Kontroversen – nur vorgetäuscht und erfunden. Doch wenn ich dann gegen zwei Uhr nachts wieder aufwache, fürchte ich, dass es sich genau umgekehrt verhält.
Ich frage mich, was besser ist: um zwei oder um vier Uhr morgens aufzuwachen? Einerseits kann ich um zwei noch darauf hoffen, früher oder später wieder einzuschlafen, andererseits erscheint die vor mir liegende Nacht noch so unendlich lang. Meistens träume ich von der Vergangenheit, von Menschen, die ich einst kannte und die nun fort sind oder zu denen sich mein Verhältnis bis zur Unkenntlichkeit verändert hat. So vieles ist geschehen, was ich mir nie hätte vorstellen können.
Habe ich heute die Präsidentschaft meines Mannes aufs Spiel gesetzt? Habe ich etwas getan, das ich schon vor Jahren hätte tun sollen? Oder vielleicht beides, und vielleicht ist genau das mein Problem: Ich führe ein Leben im Widerspruch zu mir selbst.
TEIL 1
1277 Amity Lane
Es war an einem Tag im Sommer 1954, ich sollte bald in die dritte Klasse kommen, als meine Großmutter Andrew Imhof für ein Mädchen hielt. Ich hatte meine Großmutter auf einen Spaziergang in die Stadt begleitet, wo sie in einem Lebensmittelladen nach Palmherzen suchen wollte, auf die sie bei ihrer morgendlichen Romanlektüre gestoßen war, und wir kamen gerade am Regal mit den Konserven vorbei, da begegneten wir Andrew und seiner Mutter. Zwischen Mrs. Imhof und meiner Großmutter lagen einige Jahre Altersunterschied, daher hatten sie nie näher miteinander zu tun gehabt, doch sie kannten sich, wie sich die Menschen in Riley, Wisconsin,
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