Messertänzerin
wusste nicht, was sie sagen sollte. Was sie für eine Beleidigung gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Kompliment gewesen.
»Jetzt habe ich einen Njur und ein Messer«, lächelte sie. »Ich werde mir einen Tanz ausdenken müssen, bei dem ich beides zusammen benutzen kann.«
»Manchmal muss man sich entscheiden«, sagte Tajan.
»Manchmal liegen die Dinge auch näher beieinander, als sie scheinen«, gab Divya zurück, während sie Tajan fragend musterte. Was empfand er für sie, wenn er ihr Geschenke machte? Warum war er nur manchmal so abweisend, und dann wieder schienen seine Augen ihr etwas sagen zu wollen, was er nicht über die Lippen bekam.
»Wie kommt es, dass du mir ein Geschenk machst?«, bohrte sie nach. »Eines, das du anfertigen lassen musstest. Woher wusstest du, dass ich heute Geburtstag habe?«
Diesmal wurde Tajan tatsächlich rot im Gesicht. Tajan, der sich sonst immer so beherrschte!
»Ich … habe das Datum damals auf deinen Papieren gesehen, die Maita mir gezeigt hat, als ich den Einbruch untersucht habe.«
»Das ist lange her«, stellte Divya fest. »Das weißt du noch?«
Seine Zurückhaltung machte sie wahnsinnig. Warum konnte er nicht einfach zugeben, dass sie Freunde waren? Divya musterte ihn, aber er wich ihrem Blick aus. Nachdenklich ließ er sich auf den Boden nieder und betrachtete die im Mondlicht silbergrau schimmernden Häuser der Stadt. Lautlos setzte sich Divya neben ihn.
»Ich habe das Messer bei einem Schmied bestellt und gravieren lassen. Siehst du, meine Messer hat er in den letzten Jahren auch graviert.«
Mit einer schnellen Bewegung zog Tajan ein Messer aus einer verborgenen Tasche im Rücken seines Umhangs und legte es Divya in die Hand. Sie kannte seine Messer natürlich, aber so genau hatte sie sie noch nie angesehen. Im Griff war die feine Zeichnung eines Adlers im Flug zu erkennen.
»Ich habe dasselbe Symbol wie mein Vater, so ist es bei den Sujim üblich. Der Adler steht für Mut, Weitsicht und Kampfgeist.«
Sie nickte, obwohl sie es erstaunlich fand, dass ein Sohn dieselben Eigenschaften haben sollte wie sein Vater.
»Ist dein Vater auch bei der Wache?«
Tajan wandte das Gesicht ab und starrte in die Ferne. Divya kannte diese Stimmungen bereits. Manchmal, wenn sie eine falsche Frage stellte, wirkte er plötzlich düster und war eine Weile nicht mehr ansprechbar. Heute redete er weiter, aber die dunkle Wolke in seinem Inneren zog wieder auf.
»Er starb vor vier Jahren. Offiziell durch die Hand eines Einbrechers. Aber ich war schuld, dass er an diesem Tag in den Tod ging.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Divya so leise, dass sie sich kaum selbst hörte. »Und wer war der Täter?«
Tajan schüttelte den Kopf und bemühte sich, die Geister der Vergangenheit mit einem Lächeln zu vertreiben, aber Divya spürte, dass diese Geister sich nicht so einfach vertreiben ließen.
»Beinahe wäre dein Messer nicht pünktlich fertig geworden«, sagte er. »Kein Handwerker darf zurzeit noch fremde Aufträge annehmen. Du ahnst ja nicht, was in der Stadt los ist.«
»Was du nicht sagst!«, sagte Divya mit Sarkasmus in der Stimme.
Tajan deutete vage auf die Straßen unter ihnen. »Seit Tagen wird die Umsiedlung der Tassari vorbereitet, Handwerker verstopfen die Gassen mit ihren Fuhrwerken, und alle anderen Arbeiten bleiben liegen.«
»Umsiedlung?« Divya horchte auf.
Die Tassari faszinierten sie, seitdem sie von den Schülerinnen zum ersten Mal als solche beschimpft worden war. Tajan wandte ihr endlich wieder das Gesicht zu und sah sie erstaunt an.
»Weißt du nichts davon? Hat Maita euch wenigstens von dem Erlass des Fürsten erzählt? Dass niemand mehr den Lichtern dienen darf?«
»Was hat das mit den Tassari zu tun?«, wich Divya aus, während sie sich selbst darüber wunderte, dass sie das nur von der Köchin erfahren hatte und nicht von Maita selbst.
»Niemand darf mehr Schälchen mit Zuckerwasser aufstellen oder sonst irgendwie dazu beitragen, dass Menschen an Lichter glauben!«, fügte Tajan düster hinzu.
»So etwas würde hier nie jemand tun.«
Er nickte, aber seine Mundwinkel zuckten. »Natürlich nicht, das wäre mir ja aufgefallen.«
Sein Seitenblick durchfuhr Divya wie ein Blitz. Was wollte er ihr damit sagen? Dass er seit Jahren alle Bediensteten beobachtete und sie jederzeit verraten konnte?
»Der Erlass sieht außerdem die Umsiedlung der Tassari vor«, fuhr er fort. »Sie müssen ihre Häuser bis nächste Woche verlassen, bis dahin ist ihr neues
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