Messertänzerin
in der Wäscherei. Zwei Wochen waren inzwischen seit Selurias Tod vergangen und sie fehlte ihr entsetzlich. Jeden Tag erwischte sich Divya bei dem Gedanken ›Das muss ich nachher Seluria erzählen‹ oder ›Was sie wohl davon hält?‹, und als sie in der Wäscherei die leisen Schritte ihrer Ablösung im Gang hörte, wandte sie sich strahlend der Person zu, die nicht Seluria war, und ihr Lächeln erlosch.
»Alles in Ordnung?«, fragte die neue Dienerin.
Kurz darauf war sie bereits wieder auf ihrem gewohnten Weg nach oben, dem Sternendach entgegen. Tanzen! Der Gedanke daran kribbelte in Armen und Beinen – aller Vorsicht zum Trotz. Sie durfte einfach nicht mehr an die Außenseite des Daches gehen, wo der Sujim sie entdeckt hatte. Obwohl es sie immer noch wunderte, dass er sie von der Straße hatte sehen können.
Als sie sich auf die Überdachung der äußeren Agida schob und sich dort auf die Zehenspitzen stellte, um sichüber die Dachkante zu ziehen, konnte sie das Gefühl der Freiheit fast nicht mehr abwarten.
Doch kaum hatte sie die Fläche des Daches überblickt, zog sie den Kopf schnell wieder zurück. Dicht vor ihr stand ein Mann mit einer dunklen Hose und einem dunklen Hemd, ohne Umhang. Tajan! Nur: Was tat er da? Er balancierte mit jedem Fuß auf einem runden Stein, ging tief in die Knie und richtete sich wieder auf, ohne dass er ins Schwanken geriet. Dabei legte er seinen linken Arm auf den Rücken, den rechten hob er über die Schulter ebenfalls zum Rücken. Etwas blitzte im Mondlicht auf. Divya erkannte, dass es Messer waren. Tajan warf und fing sie hinter seinem Rücken in einem seltsamen Rhythmus wieder auf. Mal hielt er sie am Griff, mal quer, mal an der Klinge, sodass sie sich drehten wie die Zeiger einer Uhr. Plötzlich schnellte er aus den Knien hoch und warf die Messer in die Nacht. Divya starrte in die Dunkelheit. Am Ende des Daches befanden sich ein paar aufrecht stehende Bretter mit weißen Markierungen. Jedes der beiden Messer steckte etwa einen Meter voneinander entfernt in solch einer Markierung. Tajan ging soeben mit raumgreifenden Schritten auf die Bretter zu und zog die Messer wieder heraus.
Divya vergaß vor Verblüffung ihren Kopf zurückzuziehen, und als er ein paar Meter von ihr entfernt war, blickte er sie nachdenklich an.
»Ich hatte schon befürchtet, dass das Dach nicht mir allein gehören würde.«
»Es gehört mir auch nicht«, sagte Divya, während sie sich nach oben zog. Da sie nicht sicher war, ob sie näher kommen durfte, blieb sie auf der Dachkante sitzen.
»Es ist ein besonderer Ort für mich … wie Ihr wisst.«
»Ich erinnere mich«, sagte er mit undurchdringlicher Miene und stellte sich wieder auf seine Steine, als wäre das Gespräch damit beendet. Divya sah ihm interessiert zu. Seine Balance war beeindruckend, und sie wollte unbedingt sehen, wo er die Messer versteckte, bevor er sie warf. Am Gürtel steckten sie zumindest nicht.
Tajan ging in die Knie und griff sich an den Rücken. Ohne Messer, da war Divya sicher. In diesem Moment wandte er den Kopf und stieg von den Steinen herunter.
»Falls du warten möchtest, bis du das Dach für dich allein hast, muss ich dich enttäuschen. Ich brauche für gewöhnlich ein paar Stunden und habe gerade erst angefangen. Vielleicht solltest du dir einen anderen Ort für deine … Übungen suchen. Ein Dach ist gefährlich, mich wundert es, dass du in deiner Vesséla überhaupt hierherauf klettern kannst.«
Einen anderen Ort? Divya fühlte sich, als hätte er die Messer direkt in ihre Brust geworfen. Wie konnte er von ihr verlangen, dass sie so einfach auf ihren Tanz verzichtete? Und was konnte sie dagegen tun, wenn ein Wächter ihr Dach für sich beanspruchte?
Wortlos ließ sie sich auf die Überdachung der Agida rutschen. Jetzt ragte nur noch ihr Kopf über die Kante. Unfähig sich zu rühren, beobachtete sie Tajan weiter. Er ging wieder in die Knie, unglaublich langsam, und Divya wusste durch das Tanzen, wie viel Kraft das kostete: die Kunst der Langsamkeit. Überhaupt ähnelten seine Übungen sehr einem Tanz, wenn auch keinem, den Divya kannte. Seine Bewegungen waren anmutig, aber auch eine Drohung. Körper und Geist wurden eins und bereiteten sich auf den Kampf vor.
Wie zur Bestätigung tauchten plötzlich wieder die Messer in seinen Händen auf, wieder hatte sie sich einen Herzschlag lang ablenken lassen. Versteckte er sie in seinen Ärmeln? Und als er die Klingen erneut mit dem ganzen Körper von sich wegfeuerte,
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