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Messertänzerin

Messertänzerin

Titel: Messertänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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bis zu einem anderen Dach, das so aussah, als würde selten jemand herkommen. Hinter einer Dachumrandung als Sichtschutz wickelte sie sich in die Decke, schloss die Augen und schlief erschöpft ein.
    Als sie erwachte, blickte sie in ein paar dünne Wolkenschleier vor einem dunklen Sternenhimmel. War es schon wieder Nacht? Ihr Magen knurrte jedenfalls dumpf. Wann hatte sie das letzte Mal gegessen? Vor eineinhalb Tagen, in der fremden Küche, vor Jolissas Hochzeit? Ungefähr so fühlte sie sich jedenfalls, als sie mit weichen Knien aufstand.
    Ein Stück unterhalb der Dachkante entdeckte sie einen Balkon mit einem großen Fenster. Die Vorhänge blähten sich im Wind nach draußen, also gab es dort eine Möglichkeit, ins Haus zu gelangen. Sie kletterte hinunter, spähte durchs Fenster und stand gleich darauf in einem Schlafzimmer.In einem breiten Bett mit dicken Pfosten schlief ein älteres Paar. Neben ihnen, auf einem Beistelltisch, stand ein Tablett mit zwei Tellern, einem Rest Kuchen und einer Karaffe mit Wasser – und einer Schale voller Obst, die niemand angerührt hatte. So leise, wie sie konnte, nahm Divya das ganze Tablett mit hinaus auf den Balkon, wo sie sich auf den Boden setzte und ohne die Manieren einer Tana alles hinunterschlang, was sie in die Finger bekam. Nachdem sie mit einem zufriedenen Seufzer auch die Karaffe bis auf den Grund geleert hatte, stellte sie das Tablett ebenso leise wieder zurück ans Bett. Der Gedanke, wie sich die Eheleute am Morgen gegenseitig verdächtigen würden, hätte früher sicher ein Lächeln auf ihr Gesicht gebracht. In ihrem alten Leben.
    Die Erkenntnis, die sie letzte Nacht noch verdrängt hatte, tat ungemein weh: dass es keinen Ort mehr für sie gab, an den sie gehörte. An dem sie geduldet würde. Abgesehen vom Lager der Tassari, wo sie – wie ihr Volk – eine Gefangene wäre. War sie dazu wirklich bereit?
    Der Wunsch, Jolissa zu sehen, bohrte sich in ihr Herz und ließ nicht locker. Natürlich war die Gefahr, erkannt zu werden, viel zu groß. Aber als sie beim Springen über die Dächer in fremde Fenster sah, um nach Proviant für den Tag zu suchen, bemerkte sie eine Frau, die ihr Haar färbte. Und in ihr reifte eine Entscheidung, die schmerzte, die gegen all ihre Überzeugung ging – aber notwendig war.
    Nachdem die Frau endlich zu Bett gegangen war, die Haare eingewickelt in ein großes Tuch, kletterte Divya mit ihrem Seil über das Dach durch das Fenster. Schnell warf sie alles, was sie brauchte, in ein unbenutztes Tuch, schnürte es zusammen und floh mit ihrem Gepäck bis zueinem Brunnen, wo sie ausreichend Wasser in einen Eimer schöpfte und dann auf die Dächer zurückkehrte. Von einer Wäscheleine zwischen zwei Hauswänden nahm sie eine rote Vesséla mit und von der entsprechenden Fensterbank eine Maske.
    Am nächsten Morgen kehrte sie in aller Frühe zurück in die Nordstadt. Nicht über die Dächer, nicht versteckt, nicht heimlich, sondern offen auf der Straße. Als blonde Frau in einer roten Vesséla, mit einem Bündel auf dem Rücken und einer Maske vor dem Gesicht.
    Einige Wachen gingen an ihr vorbei, aber niemand würdigte sie eines zweiten Blickes. Je näher sie dem Regierungspalast kam, desto mehr Menschen waren auf den Straßen unterwegs, und sie konnte zwischen ihnen untertauchen.
    Divya musste leider zugeben, dass es viel zu gefährlich war, Jolissa im Palast heimlich zu besuchen. Aber dann beobachtete sie eine Sänfte, die vor dem Palast hielt und in die eine Frau in Blau einstieg. Die Bewegungen erkannte Divya sofort, selbst auf die Entfernung! Aufgeregt folgte sie der Sänfte quer durch die Stadt. Zum Glück waren die temperamentlosen Pferde, die diese Aufbauten tragen konnten, nicht sehr schnell, und so verlor sie sie nicht aus den Augen, bis sie vor einem flachen Steinbau hielten, dessen farbige Glasfenster mit wunderschönen Bögen eingefasst waren. Der Boden vor dem Eingang war mit einem hellblauen Mosaik verziert, das einen Springbrunnen darstellte.
    Divya glaubte zu wissen, welches Haus das war, Jolissa hatte es einmal erwähnt: das Badehaus. Dort sollte es nicht nur goldverzierte Wannen mit duftendem Seifenwasser geben, sondern auch Wasser in so großen Mengen, dass man darin schwimmen konnte! Vornehme Tanas ließen sichdort gern ihr Haar, ihre Nägel und ihr Gesicht verschönern, hatte Jo ihr erzählt. Divya hatte schon immer solch ein Gebäude von innen sehen wollen, aber heute drängte es sie besonders: Es war vermutlich ihre einzige

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