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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Eins
     
    Er hatte sie
unterschätzt. In jeder Beziehung. Sie war schlauer, als ihr naiver Schmollmund
vermuten ließ, gerissener. Beinahe verschlagen, wenn es galt, ihren Vorteil zu
wahren. Und ihr zarter Körper hielt mehr aus, als er erwartet hatte. Nicht ein
Wort war über ihre Lippen gekommen, das ihn weitergebracht hätte. Nicht eines!
    Zu Anfang war er davon ausgegangen, dass er leichtes Spiel haben
würde. Sie sah so aus. Wie ein verspieltes, trotziges Kind, das beim ersten
harten Wort zusammenbricht. Aber nichts war passiert! Gestern hatte sie sogar
gelacht, als er sie schlug. Auch heute früh noch, als er seine Zigarettenglut
langsam in ihr Fleisch drückte. Ein zähes, verschlagenes Aas war sie, und das
machte ihn wütend. Er hatte nicht mit solchen Schwierigkeiten gerechnet. Dass
sie jetzt auch noch versuchte, ihm abzuhauen, setzte dem Ganzen die Krone auf.
Dabei war er davon ausgegangen, der Wodka, den er ihr eingeflößt hatte, bevor
er essen ging, müsste ausreichen, einem ausgewachsenen Mann die Beine unterm
Arsch wegzuziehen. Und dann stand sie hinter der Tür und zog ihm den Stuhl über
den Kopf!
    Er rappelte sich hoch und fluchte laut. In seinem Schädel summte ein
ganzes Bienenvolk. Vorsichtig befühlte er die Beule, die auf seinem Hinterkopf
wuchs und kam vollends auf die Beine.
    Dios! — Was jetzt? Er hatte eine ganze Weile benommen hier gelegen,
aber weit konnte sie noch nicht sein. Sie war am Ende, das wusste er. Immerhin
hatte er sie zwei Tage lang nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht. Sie
wollte zwar immer noch nicht reden, aber lange hätte sie nicht mehr
durchgehalten. So gewieft sie war, so widerstandsfähig — zwei Tage in seinen
Händen machten jeden fertig. Daran gab es keinen Zweifel. Außerdem war es ihm
noch gelungen, ihr einen heftigen Tritt zu verpassen, bevor er zu Boden ging.
Und der musste gesessen haben — jedenfalls hatte sie laut aufgeschrien.
    Er stolperte die Kellertreppe nach oben und sah sich in der großen
Halle um. Würde sie so schlau sein, sich hier irgendwo zu verstecken? Nein, sie
hatte Angst, und das bedeutete, das sie weg wollte von ihm, möglichst weit weg.
Er trat durch die schmale Eisentür nach draußen und atmete tief durch. In der
klaren kalten Luft und dem prasselnden Regen ließ das Summen in seinem Kopf
nach. Er verfluchte seine Übervorsicht, die ihn veranlasst hatte, den Wagen auf
einem weit entfernten Parkplatz abzustellen. Wenn er sie noch einholen wollte,
würde er laufen müssen.
    Hatte sie sich nach rechts oder links gewandt? Nach rechts, sagten ihm
sein Instinkt und seine Erfahrung. In einer vom Autoverkehr geprägten
Gesellschaft wandten sich fast alle Menschen automatisch nach rechts. Er hatte
mal gelesen, dass es in Großbritannien und anderen Ländern, in denen
Linksverkehr herrschte, genau andersherum war.
    Er trabte los, nicht zu schnell. Wenn er seine Kräfte einteilte,
sollte er sie bald eingeholt haben. Mit Sicherheit war sie losgelaufen, als ob
der Teufel hinter ihr her wäre. Und nun würde sie mit Seitenstechen und
schmerzenden Lungen langsam gehen müssen, im günstigsten Fall sogar irgendwo
Halt machen.
    An der nächsten Straßenecke blieb er witternd stehen. Der Wind riss an
den wenigen Bäumen auf dem Mittelstreifen. Kleine abgebrochene Zweige bedeckten
den Asphalt. Die lockere Plane eines Kleinlasters neben ihm klatschte
rhythmisch gegen den stählernen Aufbau. Noch einmal hob er den Kopf, sog die
feuchte Luft ein und wandte sich nach links. Seiner Erinnerung nach lag in
dieser Richtung ein Wohnblock, und eine Buslinie führte vorbei. Und dass sie zu
anderen Menschen wollte, die ihr vielleicht Schutz und Hilfe boten, stand für
ihn außer Frage.
    Er stoppte abrupt, als er an der nächsten Kreuzung rechts abgebogen
war. Durch den Regenschleier sah er eine schlanke Gestalt, die ein lebloses,
helles Bündel schwerfällig in ein Auto hievte.
    Mierda! Irgendjemand hatte sie aufgelesen und nahm sie mit! Was jetzt?
Im Schutz der LKWs am Straßenrand schlich er näher und überlegte fieberhaft.
Das Kennzeichen! Er brauchte unbedingt das Kennzeichen! Der Mann, der sie in
den Wagen gesetzt hatte, hob den Kopf, als er die Fahrertür öffnete, und im
Licht der Straßenlaterne sah er kurz sein Gesicht.
    Er war jetzt fast nah genug, um das Nummernschild zu lesen. Aber der
Wind kam von vorn, peitschte ihm den Regen genau in die Augen, und die
plötzlich aufflammenden Scheinwerfer des Fahrzeugs blendeten ihn. Er erkannte
nur noch, dass

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