Messertänzerin
Gelegenheit, Jolissa heimlich zu treffen.
In einer Seitengasse gelang es Divya, auf das Dach des Hauses zu klettern, und durch ein Dachfenster, aus dem gewaltige Schwaden aus Wasserdampf drangen, stieg sie ein. Sie landete in einem Raum, in dem eine leere heiße Wanne stand und vor sich hin duftete. Als sie durch die Tür auf den Gang spähte, bemerkte sie einige ältere Tanas, die in dicke Tücher gewickelt waren und in ihre Richtung kamen. Hoffentlich nicht in diesen Raum! Aber nein, sie gingen schwatzend an ihr vorbei und liefen zu einem großen Becken, an dessen Rand sie sich setzten und die Beine ins Wasser baumeln ließen. Divya musterte fasziniert ihre Tücher und die Knotentechnik, mit der sie gebunden waren, dann nahm sie ein großes Tuch aus einem Regal und zog sich um.
Möglichst selbstbewusst schlenderte Divya durch die Gänge und beobachtete die Frauen, die sich hier viel gelassener benahmen als auf den Straßen oder in der Schule. Sie schienen es zu genießen, einmal nur unter Frauen zu sein, und es handelte sich wohl ausschließlich um verheiratete Tanas.
Endlich entdeckte Divya ihre Freundin. Sie trug das gleiche geknotete Tuch wie die anderen, aber sie verhielt sich noch wie ein Neuling. Zögernd und mit einer Hand ständig am Knoten ihres Tuches lief sie um die kleineren Becken herum, offenbar auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit. Divya ging mit gezielten Schritten dicht an ihrvorbei, streifte sie leicht und flüsterte: »Folge mir!« Da sie sich durch ihren Erkundungsgang ein wenig auskannte, konnte sie Jo in eine kleine, halbrunde Nische führen, die mit vier Sesseln und vier Fußwannen ausgestattet war. Wie selbstverständlich setzte Divya sich hin und hielt die Füße ins Wasser.
Als sie Jolissa ins Gesicht lächelte, erschrak sie. Von ihrer fröhlichen Freundin, die so gern über die »Hühnchen« lästerte und abenteuerlustig über die Agida schlich, war nichts mehr zu sehen.
Verkrampft blieb sie vor Divya stehen und zog die Stirn kraus. »Was machst du hier? Und was hast du – bei allen Geistern! – mit deinem Haar gemacht?«
»Setz dich hin und lächle, dann fallen wir wesentlich weniger auf!«, riet Divya und wollte Jolissas Hand ergreifen, aber die zog sie weg.
»Weißt du eigentlich, dass die gesamte Stadtwache dich sucht?«, zischte Jo und setzte sich. »Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass du … einen Mordanschlag auf den Fürsten verübt hast!«
Divya senkte den Blick und betrachtete ihre eigenen Füße.
»Es ist nicht so, wie du denkst.«
»Wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre«, fauchte Jolissa, »würde ich das ja auch sagen, aber du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass mir etwas entgangen ist? Ich saß in der ersten Reihe! Divya, das bist doch nicht du!«
Divya schloss die Augen und nickte. »Mag sein. Ich war wirklich kurz davor, für eine neue Zukunft einen Mord zu begehen.« Sie sah auf. »Aber nur kurz davor! Bitte, du musst mir glauben …«
Wieder griff sie nach Jos Hand, und diesmal wehrte sich Jolissa nicht.
»Weil Tajan herausgefunden hat, dass ich zu den Tassari gehöre, habe ich jetzt kein Zuhause mehr. Maita hat mir erzählt, dass Menschen ohne Zuhause verhaftet werden. Und dann hat sie mir eine neue, wunderbar klingende Zukunft versprochen.« Divya hatte das Gefühl, eine innere Taubheit abzuschütteln, als sie sich eingestand, an welchem Abgrund sie gestanden hatte. Einem Abgrund, den sie nicht einfach überspringen konnte. Gleichzeitig kamen ihr die Tränen.
»Es war gut, dass du da warst. Du und Tajan. Eure Gegenwart hat mich abgehalten.«
»Du hast dein Ziel also gar nicht verfehlt?«, fragte Jo zögernd.
Divya schüttelte den Kopf. »Es ist mir egal, was die anderen alle glauben. Aber du sollst wissen, dass ich zu so etwas nicht fähig bin.«
Jolissa seufzte. »Sie sagen, du wärst von den Lichtern besessen, so wie dein ganzes Volk. Du hättest sogar Warkans pflichtbewussten Sekretär in deinen Bann gezogen …« Sie warf Divya einen prüfenden Blick zu und fuhr mit rauer Stimme fort: »Was ist mit ihm? Ist ihm auch die Flucht gelungen?«
»Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe«, fuhr Divya noch leiser fort, »ging es ihm ganz gut. Und wenn ihn jemand in seinen Bann gezogen hat, dann bist das immer noch du.« Sie versuchte zu lächeln. »Die gute Nachricht ist: Er mag dich wirklich. Er wusste bis kurz vor der Hochzeit deinen Namen nicht, hat er behauptet. Allerdings hat er auch nicht um dich gekämpft. Die
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