1224 - Das Herz der Hexe
»Geht es Ihnen gut, Amy?«
»Danke, bestens.«
»Das ist wunderbar. Und was ist mit dem Herz?«
»Ein Phänomen«, flüsterte Amy. »Ein wirkliches Phänomen. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Ich… ich bin begeistert. Ich bin so dankbar, dass ich ein Spenderherz gefunden habe, Mayri.«
»Das kommt noch. Warten Sie ab, bis die Reha-Zeit vorbei ist. Es wird alles wie von selbst laufen, das kann ich Ihnen versichern.«
»Stimmt. Ich will trotzdem hier raus.«
»Ja, aber erst müssen Sie noch ein wenig hier bleiben. Später werden Sie…«
»Nicht später«, flüsterte Amy, »sondern jetzt.«
»Nein, mein Liebe. So gern ich Sie persönlich aus der Klinik führen würde, aber das geht nicht.« Die Schwester mit dem ungewöhnlichen Namen schüttelte bedauernd den Kopf. Sie hatte eine wunderbare Art, sich auf die Menschen einzustellen.
»Sie dürfen sich darauf nicht zu sehr fixieren, Amy. Das hier ist auch keine Neurologie oder keine Klappsmühle. Das hier ist eine Reha-Klinik. Es ist der erste große Schritt zurück ins normale Leben.«
»Hier bin ich nicht frei!«
»In zwei Wochen sind Sie es, Amy. Versprochen. Ich kenne mich aus, denn ich mache den Job schon lange genug!«
Zu spät, du Sau!, dachte Amy. Ich mache dich fertig! Ich kille dich!
Wie Blitzeinschläge huschten die Gedanken durch Amys Kopf. Sie erschrak nur für einen Moment, dann zeigte ihr Gesicht ein Lächeln. Zum Glück konnte die Schwester keine Gedanken lesen, und so ahnte sie nicht, womit sich die Patie ntin beschäftigte. Aber sie spürte schon eine gewisse Veränderung, denn ihr fiel auf, dass das Lächeln nicht so echt war.
Auch das war normal. Die Patienten, die hier eingeliefert wurden, gehörten zu den Menschen, die Schlimmes hinter sich hatten. Körperlich mochten sie geheilt sein, seelisch allerdings nicht. Da blieb noch manches an Aufarbeitung zu tun, bis wieder die Normalität eingekehrt war.
»Ich lasse Sie jetzt allein und komme später noch mal mit dem Essen zurück.«
»Ist gut. Was gibt es denn?«
Mayri lächelte. »Da sollten Sie sich überraschen lassen. Bei der Wärme wird es ein leichtes Mahl sein.«
»Ist schon gut.«
Die Schwester mit der zarten Figur zog sich zurück. Sie stieß die Tür des Balkons auf und verschwand im Zimmer, während Amy Madson sitzen blieb, die Beine hochgelegt hatte und über die Brüstung hinweg in den Klinikgarten schaute, der zwar vom Sonnenlicht erfüllt war, in dem sich jedoch nicht viele Menschen aufhielten, weil es selbst in dieser frühen Abendstunde noch zu heiß war. Es gab zwar Bäume, die Schatten spendeten, aber er war einfach zu wenig. Die meisten Rasenflächen lagen in der verdammten Glut. Am Rande des Gartens stand ein sich um die eigene Achse drehender Wasserspender.
Er schleuderte die Tropfen in die Luft, die im Sonnenschein blitzten wie edle Steine.
Ein Gärtner schob eine kleine Karre vor sich her. Er hatte sie allerdings nicht mit Laub beladen, sondern mit Getränken, die er in den Schatten brachte.
Die Klinik war ein kleines Paradies für sich. Hier lebte es sich wunderbar. Sie hatte so gar nichts mit den englischen Krankenhäusern zu tun, in denen es oft drunter und drüber ging, weil die Kosten voll explodiert waren und man auch vergessen hatte, bestimmte Renovierungsarbeiten vorzunehmen.
Wer hier zur Behandlung herkam, musste die Kosten selbst aufbringen. Amy brauchte das nicht. Ihr Arbeitgeber zahlte. Er wollte die hochqualifizierte Mathematikerin unter allen Umständen behalten, und wenn das neue Herz das alte richtig ersetzt hatte, würde alles wieder normal laufen.
Ich sollte sie in Stücke schneiden und den Bluthunden zum Fraß vorwerfen!
Wieder schoss Amy der Gedanke durch den Kopf, gegen den sie sich nicht wehren konnte. Seit Tagen schon war das so.
Zuerst hatte sie sich erschreckt, sie war tief verunsichert, doch sie hatte sich davor gehütet, etwas zu sagen, obwohl man ihr hier in der Klinik hätte helfen können. Da war auch eine innere Warnung vorhanden, auf keinen Fall etwas preiszugeben. Es war wichtig, dass sie es für sich behielt. Es musste weitergehen. Sie stand erst am Anfang, aber die Gedanken waren immer stärker geworden.
In der letzten Zeit hatten sie sich auf Mayri konzentriert und waren nicht mehr so allgemein gewesen. Sie stand an der Spitze, denn sie war auch greifbar.
Ich werde sie töten! Ich bringe sie um! Heute Abend noch!
An den Fleischerhaken mit ihr!
Eine Hitzewelle schoss durch Amys Körper und setzte sich in ihrem
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