Metro2033
verstehe ich das. Du zum Beispiel hast sie noch nicht oft gesehen, nicht wahr?«
»Einmal bisher. Ich bin erst seit Kurzem im Nordtunnel auf Wache ... Aber, ehrlich gesagt, das eine Mal hat mir gereicht. Ich habe immer noch Albträume deswegen. Erst heute wieder. Dabei ist seither schon einige Zeit vergangen.«
»Albträume, sagst du? Du auch?« Hunter runzelte die Stirn. »Das sieht nicht nach Zufall aus. Würde ich hier einige Zeit leben, ein paar Monate vielleicht, und regelmäßig mit euch Wache schieben, nicht ausgeschlossen, dass auch ich den Mut verlieren würde. Nein, Junge, in einer Sache irrt dein Stiefvater. Nicht er sagt das, nicht er denkt so. Die da denken für ihn, und sie sind es, die aus seinem Mund sprechen. Ergebt euch, sagen sie, Widerstand ist zwecklos. Dein Stiefvater ist nur ihr Sprachrohr. Was er selbst gar nicht begreift. Sieht so aus, als könnten sie wirklich unsere Psyche beeinflussen, diese Mistkerle. Was für eine Höllenbrut! Sag, Artjom« - Hunter sah ihm nun direkt in die Augen, nannte ihn beim Namen, und Artjom begriff, dass der Mann ihm etwas wirklich Wichtiges mitteilen wollte - »hast du ein Geheimnis? Etwas, was du niemandem hier an der Station sagen würdest, einem Fremden aber anvertrauen könntest?«
»Naja ...«, stammelte Artjom. Jeder geübte Beobachter hätte sofort begriffen, dass es ein solches Geheimnis sehr wohl gab.
»Auch ich habe eines. Lass uns tauschen. Ich muss jemandem mein Geheimnis mitteilen, aber ich will sicher sein, dass dieser Jemand es nicht ausplaudert. Deshalb gib mir deines - nur bitte nicht irgendwelche Mädchengeschichten, sondern was Ernsthaftes, das sonst niemand wissen darf. Das ist wichtig für mich. Sehr wichtig, verstehst du?«
Artjom schwankte. Er platzte fast vor Neugier - und doch hatte er Angst davor, diesem Menschen sein Geheimnis zu verraten. Hunter war ein interessanter Gesprächspartner mit einem abenteuerlichen Leben, aber allem Anschein nach auch ein kaltblütiger Killer, der, ohne mit der Wimper zu zucken, sämtliche Hindernisse auf seinem Weg beseitigte. Und wenn sich herausstellte, dass Artjom tatsächlich eine Mitschuld am Vordringen der Schwarzen hatte ...
Hunter sah ihn ermutigend an. »Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich verspreche dir, dass du nicht bestraft wirst.«
Sie kamen bei Hunters Zelt an, blieben aber draußen stehen. Artjom dachte ein letztes Mal nach, dann fasste er seinen Entschluss. Er holte tief Luft und erzählte hastig, in einem Zug, die Geschichte von seinem Abenteuer am Botanischen Garten.
Als Artjom geendet hatte, schwieg Hunter eine Weile. Dann sagte er mit rauer Stimme: »Eigentlich sollte ich dich dafür umbringen. Aber ich habe dir ja ein Versprechen gegeben. Das gilt jedoch nicht für deine Freunde ...«
Artjoms Herz krampfte sich zusammen. Er spürte, wie er vor Angst erstarrte. Stumm erwartete er die Fortsetzung der Anklage.
»Doch will ich euer Alter und die allgemeine Hirnlosigkeit zum Zeitpunkt der Tat berücksichtigen. Außerdem ist sie vermutlich inzwischen verjährt. Also seid ihr hiermit begnadigt.« Als wolle er Artjom aus seiner Starre befreien, zwinkerte Hunter ihm zu. »Aber du bist dir hoffentlich im Klaren darüber, dass du von deinen Stationsgenossen keine Gnade zu erwarten hast. Somit hast du mir aus freien Stücken eine Waffe gegen dich selbst in die Hand gegeben. Und jetzt erzähle ich dir mein Geheimnis.« Während Artjom seine Geschwätzigkeit bereits bereute, fuhr Hunter fort: »Ich habe nicht ohne Grund die gesamte Metro durchquert, um zu dieser Station zu gelangen. Und ich werde mein Ziel nicht aufgeben. Gefahren müssen beseitigt werden, und diese Gefahr wird beseitigt werden, dafür werde ich sorgen. Dein Stiefvater hat Angst. Ich vermute, dass er sich allmählich in ihre Waffe verwandelt. Er wehrt sich kaum noch dagegen und versucht sogar, mich rumzukriegen. Wenn das mit dem Grundwasser stimmt, kommt eine Sprengung des Tunnels nicht infrage. Aber dank deinem Bericht sehe ich nun etwas klarer. Wenn die Schwarzen wirklich erst auftauchten, nachdem ihr dort oben wart, kommen sie vom Botanischen Garten. Irgendetwas Schlimmes muss dort entstanden sein. Und das bedeutet, dass wir sie dort blockieren können, näher an der Oberfläche, ohne das Risiko eines Wassereinbruchs. Doch wer weiß schon, was jenseits von Meter 700 im nördlichen Tunnel vor sich geht. Dort endet eure Macht. Und es beginnt die Macht der Finsternis, die den größten Teil der Moskauer Metro
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