Metro2033
entfernten. »Jetzt probier mal, da wieder durchzukommen. Da kannst du dich gleich auf einen Kampf einstellen. Ich wusste es doch, ich wusste, dass es so kommen würde, verdammt!«
Artjom schwieg. Er hörte kaum, wie Bourbon ihn abkanzelte. Stattdessen erinnerte er sich wieder an seinen Stiefvater und an dessen Worte, dass jeder Tunnel eine eigene Melodie habe und man lernen könne, sie zu hören. Vielleicht hatte Suchoj sich mit dieser Formulierung ja nur gewählt ausdrücken wollen, doch Artjom glaubte, dass ihm genau das vorhin gelungen war: Er hatte die Melodie des Tunnels gehört. Aber die Erinnerung daran verblasste schnell, und nach einer halben Stunde war sich Artjom gar nicht mehr so sicher, ob das alles nicht nur eine vom Flammenspiel erzeugte Fantasie gewesen war.
Unterdessen hatte sich Bourbon wieder beruhigt. »Na, sei's drum«, sagte er. »Du meinst es ja nicht böse, hast einfach keine Ahnung. Entschuldige, wenn ich manchmal ein bisschen grob bin. Mein Job ist ziemlich stressig. Immerhin sind wir rausgekommen, das ist schon mal was. Jetzt latschen wir bis zum Prospekt immer geradeaus, ohne Halt. Dort machen wir Rast. Wenn alles ruhig ist, wird es nicht lange dauern. Ab dann wird's allerdings problematisch.«
»Und das macht nichts, dass wir so gehen?«, fragte Artjom und blickte nach hinten. »Ich meine, an der WDNCh gehen wir immer mindestens zu dritt, mit Schlussmann und so ...«
»Klar, das hat Vorteile. Aber es gibt auch einen Nachteil. Den kapiert man nicht gleich. Muss man erst am eigenen Leib spüren. Früher hab ich auch Angst gehabt. Wir sind sogar mindestens zu fünft unterwegs gewesen, ja manchmal zu sechst oder mehr. Glaubst du vielleicht, das hilft? Von wegen! Einmal waren wir mit einer Ladung unterwegs und hatten deshalb Begleitschutz dabei: zwei vorn, drei in der Mitte und ein Schlussmann, richtig wie aus dem Lehrbuch. Von der Tretjakowskaja gingen wir in Richtung ... na ja, früher hieß sie jedenfalls Marksistskaja. Der Tunnel war so lala. Mir hat er nicht sonderlich gefallen. Roch irgendwie faulig. Und dunstig war er. Die Sicht war beschissen, keine fünf Schritte weit, die Lampe brachte so gut wie nichts. Wir haben dem Schlussmann ein Seil an den Gürtel geknotet, es durch den Riemen von einem in der Mitte gezogen und das andere Ende an der Spitze der Gruppe beim Kommandeur festgemacht. Damit keiner im Nebel zurückbleibt. Wir laufen also so dahin, alles in bester Ordnung, keine Eile, und zum Glück kommt uns niemand entgegen, also denk ich mir, das schaffen wir in weniger als vierzig Minuten. Wir sind sogar noch schneller gewesen.« Bourbon schüttelte sich und schwieg eine Weile, bevor er fortfuhr. »Irgendwo auf der Hälfte des Weges fragt Tolja, der in der Mitte geht, unseren Schlussmann etwas. Der schweigt. Tolja wartet und fragt noch mal. Wieder Schweigen. Tolja zieht an dem Seil und hat das lose Ende in der Hand. Durchgebissen. Wirklich durchgebissen, sogar irgendein feuchtes Zeugs hing da noch dran ... Und der Typ ist verschwunden. Dabei hat niemand was gehört. Nichts! Ich selbst war ja mit Tolja in der Mitte. Er zeigt mir das Ende des Seils, und ihm zittern die Knie dabei. Wir haben dann noch mal gerufen, der Ordnung halber, aber es hat natürlich keiner geantwortet. Da war nämlich niemand mehr. Wir haben uns angeschaut - und sind losgerannt. Bei der Marksistskaja waren wir in Nullkommanix.«
»Vielleicht hat er sich einen Scherz erlaubt?«
»Einen Scherz? Vielleicht. Aber es hat ihn wirklich niemand mehr gesehen. Ich jedenfalls habe Folgendes kapiert: Wenn du an der Reihe bist, bist du eben an der Reihe, da hilft dir kein Begleitschutz und gar nichts. Da kommt man nämlich nur langsamer voran. Seither gehe ich immer nur zu zweit - außer in einem Tunnel, von der Sucharewskaja zur Turgenewskaja, aber der ist ein eigenes Kapitel ... Wenn was ist, bringt mich der andere eben raus. Dafür sind wir schneller. Kapiert?«
»Kapiert. Aber werden die uns am Prospekt Mira denn reinlassen? Ich habe ja das hier dabei.« Artjom deutete auf sein Sturmgewehr.
»Auf unserer Linie schon. Doch am Ring ganz bestimmt nicht. Dort würden sie dich auch ohne Waffe nicht reinlassen. Aber wir müssen ja auch nicht dort rein. Und überhaupt dürfen wir dort nicht lange rumhängen. Wir machen nur eine kurze Rast und weiter. Du ... warst du überhaupt schon mal am Prospekt?«
»Nur als kleiner Junge. Sonst nicht.«
»Dann spitz mal schön deine Ohren. Es gibt dort keine Grenzwachen. Es ist
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