Metro2033
die Tiefe zu starren, als hoffte er dort etwas Besonderes zu entdecken. Sein Blick schien sich nun in der Dunkelheit auflösen zu wollen, mit dem Tunnel zu verschmelzen, Teil dieses Leviathans zu werden, eine Zelle dieses Organismus. Artjom merkte, dass er sich die Ohren zuhielt, doch durch seine Finger hindurch, die den Geräuschen der äußeren Welt den Zugang versperrten, vorbei an den Hörorganen, gleichsam direkt ins Gehirn, begann eine leise Melodie zu strömen - das unwirkliche Raunen des Erdinnern, gedämpft und undeutlich. Nicht der erschreckende, grelle Lärm, der aus dem geplatzten Rohr zwischen der Alexejewskajä und der Rischskaja gekommen war, nein, etwas anderes, rein und tief.
Nachdem er eine Zeit lang in den ruhigen Fluss dieser Melodie eingetaucht war, erkannte er plötzlich - weniger mit dem Verstand als mit einer Intuition, die jenes Geräusch aus dem Rohr offenbar geweckt hatte - das Wesen dieser Erscheinung: Der Strom, der wild aus der Leitung hervorgebrochen war, und dieser Äther, der gemächlich durch den Tunnel waberte, waren ein und dasselbe. In dem Rohr war er eitrig und infiziert gewesen, hatte unruhig gebrodelt, bis er dort, wo die angeschwollenen Leitungen geplatzt waren, stoßweise in die Außenwelt hinaussprudelte und bei allen lebenden Geschöpfen Schwermut, Übelkeit und Wahnsinn hervorrief...
Es schien Artjom, als stehe er kurz davor, etwas sehr Wichtiges zu begreifen, als hätte sich in der letzten halben Stunde, da sein Geist im stockfinsteren Tunnel umherschweifte, im Zwielicht des eigenen Bewusstseins jener Schleier ein wenig gelüftet, der alle vernunftbegabten Kreaturen davon abhielt, die wahre Natur dieser neuen Welt zu begreifen.
Zugleich ergriff ihn große Furcht, als hätte er durch eine Art Schlüsselloch geblickt und von der anderen Seite der Tür wäre ihm nur unerträglich helles, die Augen versengendes Licht entgegengeschlagen. Und wenn er diese Tür öffnete, würde das Licht unaufhaltsam herausbrechen und den tollkühnen Eindringling in Staub und Asche verwandeln. Dieses Licht jedoch war ... Erkenntnis.
Der Wirbel dieser Gedanken und Gefühle überwältigte Artjom. Etwas derart Heftiges hatte er in keiner Weise erwartet ... Aber nein, es war nur Einbildung gewesen: Er hatte nichts gehört und nichts gerochen. Erneut hatte ihm die Einbildung einen Streich gespielt. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung beobachtete er, wie die unbeschreibliche Perspektive, die sich ihm für einen Augenblick in seinem Innern eröffnet hatte, von Sekunde zu Sekunde verblasste, dahinschmolz, und sich seinem geistigen Auge wieder das gewohnte undeutliche Bild zeigte. Er war vor jener Erkenntnis zurückgeschreckt, und der schon fast gelüftete Schleier fiel nun wieder schwer herab - vielleicht für immer. Der Orkan in seinem Kopf hatte ebenso schnell nachgelassen, wie er ausgebrochen war. In Artjoms Verstand jedoch hatte er genug Verwüstung angerichtet, um ihn völlig auszulaugen.
Erschüttert saß Artjom da, versuchte zu verstehen, wo die Einbildung endete und die Wirklichkeit begann, sofern man diese Empfindungen überhaupt als wirklich bezeichnen konnte. Nach und nach machte sich in seinem Herzen die bittere Befürchtung breit, dass er einen kleinen Schritt von einer Erleuchtung - ja tatsächlich einer Erleuchtung - entfernt gewesen war, sich aber nicht hatte entschließen können, nicht den Mut gehabt hatte, sich vom Strom des Tunneläthers mitreißen zu lassen, und dass er nun sein ganzes restliches Leben im Dunkeln tappen würde. Was ist Wissen?, fragte er sich immer wieder und versuchte zu ermessen, was er sich da so überhastet und feige hatte entgehen lassen. In Gedanken versunken merkte er nicht, wie er diese Worte einige Male sogar laut aussprach.
»Wissen, mein Junge, ist das Licht, und Unwissenheit die Finsternis«, erklärte ihm einer der Wachleute. »Stimmt's?« Er zwinkerte seinen Kameraden fröhlich zu.
Artjom starrte den Mann verblüfft an. Doch in diesem Moment kam Bourbon zurück, half ihm auf und begann sich von den Wachleuten zu verabschieden - sie würden ja gerne noch bleiben, aber sie hätten es eilig ...
»Pass bloß auf!«, rief ihnen der Wachhauptmann hinterher und deutete auf Artjoms Kalaschnikow. »Ich lasse dich mit der Waffe gehen. Aber auf dem Rückweg kommst du mir damit nicht mehr rein. Ich habe meine Anweisungen.«
»Ich hab's dir ja gesagt, du Idiot«, zischte Bourbon wütend, während sie sich schnell vom Lagerfeuer
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