Metro2033
schaltete er seine Taschenlampe ein und sah Artjom an. »Hör gut zu. Bei Meter 100 und 250 gibt es Wachen. Du hältst die Klappe, ich erledige das. Schade, dass deine Kalaschnikow so alt ist wie meine Oma - die kann man wirklich nirgends verstecken. Wo hast du bloß diesen Schrott aufgetrieben?«
Bei Meter 100 lief alles glatt. Hier gab es ein kleines Lagerfeuer, an dem zwei Männer in Tarnanzügen saßen. Einer der beiden döste vor sich hin, der zweite drückte Bourbon freundschaftlich die Hand. »Geschäftlich? Alles kla-ar«, sagte er gedehnt und grinste verschwörerisch.
Bis Meter 250 verlor Bourbon nicht ein Wort. Mürrisch schritt er voran. Er war irgendwie aggressiv, ein unangenehmer Typ - und Artjom begann bereits zu bereuen, dass er sich mit ihm zusammengetan hatte. Er ließ sich etwas zurückhängen, überprüfte seine Waffe und legte einen Finger auf die Abzugssicherung.
Beim letzten Posten kam es zu einer Verzögerung. Entweder kannten sie Bourbon dort nicht so gut, oder aber zu gut, jedenfalls ließ ihn der Kommandeur seinen Rucksack beim Feuer abstellen, führte ihn zur Seite und befragte ihn lange.
Artjom blieb beim Feuer stehen und antwortete einsilbig auf die Fragen der Wachleute. Diesen war offenbar langweilig, und sie hätten nichts gegen eine kleine Unterhaltung gehabt. Artjom wusste aus eigener Erfahrung, dass es ein gutes Zeichen war, wenn die Wachleute gesprächig waren. Hatten sie Langeweile, war alles ruhig. Taten sich dagegen seltsame Dinge - kam irgendetwas aus der Tiefe gekrochen, versuchte jemand von Süden durchzubrechen oder waren verdächtige Geräusche zu hören -, so saßen sie dicht gedrängt am Feuer, schwiegen angespannt und wagten es nicht, den Tunnel aus den Augen zu lassen. Heute war also alles in Ordnung, sie konnten unbesorgt weitergehen - zumindest bis zum Prospekt Mira.
Die Wachleute musterten Artjoms Gesicht. »Du bist nicht von hier. Kommst du von der Alexejewskajä?«, erkundigten sie sich.
Artjom dachte an Bourbons Anweisung und murmelte etwas Unverständliches, was man auf beliebige Weise verstehen konnte. Schließlich gaben die Wachleute auf und gingen dazu über, die Erzählung eines gewissen Michaj zu diskutieren, der dieser Tage am Prospekt Mira gehandelt und mit der dortigen Administration Probleme bekommen hatte.
Erleichtert, dass man ihn nun in Ruhe ließ, saß Artjom da und blickte durch die Flammen in den Südtunnel. Es schien derselbe endlose, breite Korridor zu sein wie nördlich der WDNCh, wo Artjom noch vor Kurzem genauso auf dem Posten bei Meter 450 gewesen war. Äußerlich unterschied er sich durch nichts. Doch war etwas an ihm - ein besonderer Geruch, den der Zug im Tunnel herbeitrug, oder eine eigene Stimmung, eine Aura, die nur ihm zu eigen war, ihm eine Art Individualität verlieh, ihn anders sein ließ als alle anderen. Artjoms Stiefvater hatte immer gesagt, in der Metro gebe es keine zwei gleichen Tunnel, ja sogar auf demselben Abschnitt unterscheide sich eine Richtung von der anderen. Ein derart extremes Gespür bekam man nur, wenn man viele Jahre in der Metro unterwegs war. Suchoj nannte es »den Tunnel hören«, er selbst war stolz auf sein besonders feines »Gehör« und hatte Artjom mehrmals davon berichtet, wie er dank dieses bei ihm so ausgeprägten Sinns eine gefährliche Situation heil überstanden hatte. Bei vielen anderen hatte sich trotz langjähriger Wanderungen durch die Metro keine derartige Sensibilität entwickelt. Einige befiel eine unerklärliche Angst, andere hörten Geräusche oder Stimmen, wieder andere verloren den Verstand, doch in einem waren sich alle einig: Selbst wenn sich in einem Tunnel keine Menschenseele befand, so war er doch nicht leer. Etwas Unsichtbares, kaum Spürbares floss langsam und zäh dahin, füllte die Tunnel mit seinem eigenen Leben, wie schweres, kaltes Blut in den Venen eines steinernen Leviathans.
Nun, da er die Gespräche der Wachen nicht mehr vernahm und vergeblich versuchte, jenseits des Feuerscheins etwas zu erkennen, begriff Artjom, was sein Stiefvater gemeint hatte. Weiter als bis hier hatte er noch nie gehen müssen, und obwohl er wusste, dass hinter der flackernden Grenze noch Menschen lebten, schien ihm das in diesem Moment völlig unwahrscheinlich. Es schien, als wäre das Leben zehn Schritte von hier zu Ende, als sei dort vorne nichts weiter als tote Finsternis, die ein trügerisches Echo von sich gab.
Doch dann, während er so dasaß, veränderte sich etwas. Er hörte auf, in
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