Metropolis brennt
Mikrofilmsammlung von Kommandeur Roselsky kommt unter den Hammer. Es ertönen lautes Hallo und genießerische Schnalzlaute.
„Im Grunde ist alles nur eine Folge des permanenten sexuellen Notstands“, spricht der Geologe seinen Situationsbericht in das Mikrofon. „Ich erwarte nicht, daß ihr Büroärsche überhaupt versteht, was ich meine, aber wir leiden hier unter einer dramatischen Steigerung der Sexualdelikte. Die Unzucht hat sich als größte Bedrohung des Astronautenkorps seit der Nieder mit der Raumfahrt -Kampagne erwiesen. Mich schaudert, wenn ich daran denke, welche Argumente man diesen Kreisen in die Hand geben könnte, wenn man sie offen und ausführlich über unsere desolate Situation informiert. Dies ist keine Drohung, ihr Bastarde. Wir sind verzweifelt, aber loyal. Das könnt ihr den elenden Bastarden im Eifel-Bunker ausrichten. Die Russen auf Ganymed haben uns eine Hundertlitersonde Wodka angeboten. Wir lehnten ab. Wir vertrauen darauf, daß in den nächsten Tagen eine Versorgungssonde landet. Es fehlt nicht nur an Whisky. Alles ist knapp. Vor allem brauchen wir Frauen. Vor den Male -Entspannern im Waschsaal stehen täglich lange Schlangen. Trotzdem wurde der Beimischung von Barbituraten in die rationierten Nahrungsmittel von allen Seiten energisch widersprochen. Das belastet selbstverständlich auch die Fortschritte der Forschungsarbeit. Die chemische Abteilung hat sich seit gestern der Produktion von chronopathischen Halluzinogenen verschrieben. Der Stellvertretende Kommandeur ist ins Eozoikum versetzt worden und hält sich für ein Urtierchen. Kein Aas weiß, wie lange die Droge wirkt. Das ganze Projekt steckt voller Unsicherheiten. Wer unter diesen Umständen Weltraumforschung betreiben will, dem muß jeglicher Verstand abhanden gekommen sein.“
Der Geologe holt tief Luft und nimmt einen großen Schluck Wodka.
Jenseits der Hügel, an der Küste des stillen Schwefel-Ozeans, liegt zerborsten die Raumfähre mit dem roten Stern.
Die eiskalten Burschen von Io haben der Raumfahrtbehörde wieder einmal ein Schnippchen geschlagen.
Die Halde ist die schmutzige Grenze zwischen den Villen und Wohntürmen oben am Hang und den Trümmerstraßen und Faßsiedlungen tief unten im Tal. Schon schiebt sich die Morgensonne hinter den Bergkuppen hervor, und in ihrer frischen Helligkeit erinnern die Horchstationen und Raketenstellungen auf dem dichtbewaldeten Ostteil der Hänge an Pilze aus Stahl. Es ist kalt. Eine milde Brise weht den Geruch von Fäulnis durch die Straßen.
Pike bewegt sich in der Mitte der Fahrbahn. Hier und da ist das Pflaster aufgebrochen und enthüllt den Strand. An der Straßenecke stapeln sich wurmstichige Schränke, vergilbte Gemälde und Stühle, deren Polsterung von Mäusen angenagt ist. Zwei ölverschmierte Männer hantieren mit schweren Werkzeugen und restaurieren einen Mercedes 280-SL. Das Hämmern von Metall auf Metall hallt wie ein dumpfes Glockenspiel über die Kreuzung. Tau hat die Autowracks benetzt.
Die Nacht ist gewichen.
Auch das müssen die unerschrockenen jungen Männer von Io entbehren, sagt sich Pike. Auf dem Jupitermond wird es nie Tag. Fraglos führen derart ungünstige Lebensumstände binnen Kürze zu tiefgreifenden Neurosen. Hätte man das nicht bedenken sollen, bevor man das Raumfahrtprogramm ausbrütete?
Hätte man, bestätigt die telepathische Ratte.
Pike bleibt stehen.
Die telepathische Ratte hockt auf dem rostigen Eisendeckel eines Gullys und putzt ihre blütenweißen Barthaare. Die Ratte ist groß wie ein Kalb, schattengrau und knopfäugig. Seit fast einem Jahrzehnt haust sie in den
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