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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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Uniform mit der im linken Auge festgeklemmten Lupe. Bonpland litt unter ihrer Schönheit. Er fragte, wozu eine Statistik über Läuse gut sei. Man wolle wissen, sagte Humboldt, weil man wissen wolle. Noch habe niemand das Vorkommen dieser bemerkenswert widerstandsfähigen Tiere auf den Köpfen der Bewohner der Äquinoktialgegenden untersucht. Nicht weit von ihrem Haus wurden Menschen versteigert. Muskulöse Männer und Frauen, Ketten um die Fußgelenke, sahen mit leeren Blicken die Landbesitzer an, welche in ihren Mündern stocherten, ihnen in die Ohren sahen und sich auf die Knie niederließen, um ihre After zu betasten. Sie befühlten ihre Fußsohlen, zogen an ihren Nasen, prüften ihre Haare und befingerten ihr Geschlecht. Meist gingen sie danach, ohne zu kaufen, es war ein schrumpfender Wirtschaftszweig. Humboldt erstand drei Männer und ließ ihnen die Ketten abnehmen. Sie begriffen nicht. Sie seien jetzt frei, ließ Humboldt dolmetschen, sie könnten gehen. Sie stierten ihn an. Frei! Einer fragte, wohin sie sollten. Wohin ihr wollt, antwortete Humboldt. Er gab ihnen Geld. Zögernd untersuchten sie die Münzen mit den Zähnen. Einer setzte sich auf den Boden, schloß die Augen und rührte sich nicht mehr, als gäbe es nichts auf der Welt, das ihn interessieren könnte. Humboldt und Bonpland entfernten sich unter den spöttischen Blicken der Umstehenden. Ein paarmal drehten sie sich um, aber keiner der Freigelassenen sah ihnen nach. Am Abend begann es zu regnen, in der Nacht erschütterte ein neues Beben die Stadt. Am nächsten Morgen waren die drei verschwunden. Niemand wußte, wohin, und sie tauchten nie mehr auf. Bei der nächsten Versteigerung blieben Humboldt und Bonpland zu Hause, arbeiteten bei geschlossenen Läden und gingen erst hinaus, als es vorbei war. Die Reise zur Chaymas-Mission führte durch dichten Wald. Bei jedem Schritt sahen sie unbekannte Pflanzen. Der Boden schien nicht genug Platz zu haben für so viel Bewuchs: Baumstämme preßten sich aneinander, Pflanzen überdeckten andere Pflanzen, Lianen strichen über ihre Schultern und Köpfe. Die Mönche der Mission begrüßten sie freundlich, obgleich sie nicht verstanden, was die beiden von ihnen wollten. Der Abt schüttelte den Kopf. Dahinter stecke doch anderes! Niemand reise um die halbe Welt, um Land zu vermessen, das ihm nicht gehöre. In der Mission lebten getaufte Indianer in Selbstverwaltung. Es gab einen indianischen Kommandanten, einen Polizeichef und sogar eine Miliz, und solange sie in allem gehorchten, ließ man sie leben, als wären sie frei. Sie waren nackt, trugen nur einzelne Kleidungsstücke, die sie sich irgendwo verschafft hatten: einen Hut, einen Strumpf, einen Gürtel, eine auf der Schulter festgesteckte Epaulette. Humboldt brauchte eine Weile, bis er so tun konnte, als hätte er sich daran gewöhnt. Es mißfiel ihm zu sehen, an wie vielen Stellen Frauen behaart waren; das schien ihm unvereinbar mit ihrer natürlichen Würde. Doch als er eine Bemerkung darüber zu Bonpland machte, sah ihn der so belustigt an, daß er rot wurde und zu stottern anfing. Unweit der Mission, in der Höhle der Nachtvögel, lebten die Toten. Der alten Legenden wegen weigerten sich die Eingeborenen, sie dorthin zu begleiten. Erst nach langem Zureden kamen zwei Mönche und ein Indianer mit. Es war eine der größten Höhlen des Kontinents, ein sechzig mal neunzig Fuß großes Loch, durch das so viel Licht einfiel, daß man noch im Berginneren hundertfünfzig Fuß weit auf Gras und unter Baumwipfeln ging. Dann erst mußten sie Fackeln anzünden. Hier begann auch das Geschrei. In der Dunkelheit lebten Vögel. Tausende Nester hingen wie Beutel an der Höhlendecke, der Lärm war ohrenbetäubend. Wie sie sich orientierten, wußte niemand. Bonpland gab drei Schüsse ab, deren Hall vom Schreien übertönt wurde, und schon sammelte er zwei noch zukkende Körper ein. Humboldt schlug Gesteinsproben aus dem Fels, maß Temperatur, Luftdruck und Feuchtigkeit und kratzte Moos von der Wand. Ein Mönch schrie auf, als er mit seiner Sandale eine riesige Nacktschnecke zerquetschte. Sie mußten durch einen Bach waten, die Vögel flatterten um ihre Köpfe, Humboldt preßte die Hände auf seine Ohren, die Mönche schlugen das Kreuz. Hier, sagte der Führer, beginne das Totenreich. Er gehe nicht weiter.
Humboldt bot eine Verdoppelung des Lohnes an.
Der Führer lehnte ab. Dieser Platz sei nicht gut! Und überhaupt, was habe man hier zu suchen, der Mensch gehöre ans

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