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Milchbart (German Edition)

Milchbart (German Edition)

Titel: Milchbart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Patientenzimmern hinaufführte, blieb sie stehen und sagte in strengstmöglichem Tonfall: »Du gehst jetzt auf dein Zimmer und bleibst dort.«
    Alexander nickte gehorsam und trat auf die erste Stufe.
    Unversehens packte ihn Fanni erneut am Arm. »Wieso bist du eigentlich nach deiner Sitzung mit Frau Bogner noch einmal in ihr Zimmer gekommen? Vorhin, als meine Stunde bereits angefangen gehabt hätte …« Sie verhedderte sich. »Du warst doch vor mir dran, oder?
    Alexander nickte. »Ja, wir haben uns doch auf dem Gang getroffen. Ich kam gerade von Frau Bogner, und Sie wollten offenbar zu ihr.«
    »Und weiter«, drängte Fanni.
    »Nichts weiter«, antwortete Alexander. »Nachdem ich ein paar Minuten in meinem Zimmer war, habe ich festgestellt, dass ich meinen Talisman nicht mehr hatte. Sie wissen schon, das Engelchen, das mich daran hindert, einfach …« Seine Stimme versandete. Aber nach einem Atemzug fuhr er fort: »Ich habe eine Weile danach gesucht, bis mir eingefallen ist, dass ich ihn während der Therapiesitzung bei Frau Bogner aus der Tasche genommen haben könnte, weil …« Wieder stockte er.
    »Deshalb bist du also zurückgekommen«, sagte Fanni. »Du wolltest deinen Talisman holen.«
    Alexander nickte unglücklich, wandte sich von der Treppe ab und machte Anstalten, über den Flur zurückzugehen. »Ich muss meinen Schutzengel haben!«
    Fanni stellte sich ihm in den Weg. »Warte. Warte, bis – bis Schwester Rosa alles geregelt hat. Dann bekommst du ihn sicher zurück. Warte einfach auf deinem Zimmer.«
    Alexander schien unschlüssig.
    Der Engel ist vermutlich ein wesentliches Element im Rahmen seiner Therapie! Wer weiß, was alles passieren kann, wenn Alexander solch wichtige Haltegriffe plötzlich verloren gehen?
    Haltegriffe! Als ob wir uns in einem öffentlichen Verkehrsmittel befänden, dachte Fanni ärgerlich. Soll ich Alexander etwa mitten in einen Tatort platzen lassen, an dem es in wenigen Minuten von Polizei, Ärzten und so weiter wimmeln wird, um einen Haltegriff zu finden? Man würde ihn sowieso nicht durchlassen.
    Laut sagte sie: »Alexander, bitte!«
    Alexander senkte ergeben die Lider und begann die Treppe hinaufzusteigen.
    Die Strapaze, dieses »Alexander, bitte« mit einem Maximum an Überzeugungskraft auszustatten, gab Fanni den Rest. Sie ließ sich gegen die apricotfarbene Mauer vis-à-vis der Treppe fallen und spürte, wie ihre Knie einknicken wollten. Warum nicht? Sollten sie doch nachgeben, sollte ihr Rücken doch an der Mauer entlang abwärtsrutschen, bis ihr Hintern auf den Boden traf. Sie würde einfach eine Weile hier in aller Stille sitzen bleiben, um nachzudenken.
    In aller Stille? Horch doch mal!
    Fanni stützte sich von der Mauer ab und neigte lauschend den Kopf. Von beiden Seiten des Flures waren Schritte und Stimmen zu hören, untermauert von Lagen undefinierbarer Geräusche.
    Man wird dieses Plätzchen, das sich Fanni Rot zum Meditieren ausgesucht hat, wohl kaum unbeachtet lassen!
    Von links kamen die Schritte und Stimmen näher.
    Fanni sprintete die Treppe hinauf.
    In ihrem Zimmer ließ sie sich in den Louis-quinze-Sessel fallen, der unter dem Fenster stand; eine Replik, die jedoch recht gelungen und erstaunlicherweise sehr bequem war. Fanni zog die Beine an und legte den Kopf an die gepolsterte Lehne. Als ihr Blick die idyllisch in bunte Spätherbstfarben getauchte Parklandschaft vor dem Fenster einfangen wollte, schloss sie die Augen und presste die Fäuste darauf, bis sie bunte Kreise sah.

2
    »Ich glaub es nicht«, sagte Hans Rot. »Ich glaube es einfach nicht.«
    Er hatte sich in den Louis-quinze-Sessel geworfen und hockte breitbeinig da, während ihm Fanni auf einem Rattanstuhl gegenübersaß, den sie sich aus der Ecke herangezogen hatte.
    »Möchtest du einen Schluck Saft trinken?«, fragte sie kleinlaut. »Vera hat mir …«
    »Ich will nichts trinken, sondern wissen, was hier läuft«, fuhr ihr Hans ins Wort.
    »Das habe ich dir doch gerade erklärt«, erwiderte Fanni müde. »Frau Bogner, eine der Therapeutinnen, ist heute Vormittag in ihrem Sprechzimmer ermordet worden. Die Tat muss kurz vor meiner Therapiesitzung begangen worden sein, weshalb es an mir war, die Leiche zu finden. Nachdem man die Kriminalpolizei gerufen hatte, sind der Tatort untersucht und eine Menge Verhöre geführt worden. Danach hat es nicht mehr lange gedauert, bis die Hauptverdächtigen feststanden.«
    »Du und dieser Grapscher«, sagte Hans Rot mit dumpfer Stimme.
    »Die Beweise sind

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