Milchfieber
er leise. „Lass die Frau in Ruhe. Außerdem habe ich Kopfschmerzen.“
„Wann wirst Du entlassen?“, fragte der Staatsanwalt noch, aber Allmers wusste, dass sich sein Bruder dafür eigentlich gar nicht interessierte. Er stand schon in der Tür und hob die Hand zum Abschied, als er von einem Pfleger aus dem Zimmer komplimentiert wurde: Ob er bitte so freundlich sein könne, meinte der junge Mann, draußen zu warten, ein Patient würde jetzt in dieses Zimmer verlegt werden.
„Bin schon weg“, sagte Werner Allmers und schlug dem Pfleger gönnerhaft auf die Schulter.
Er sieht immer mehr aus wie ein adipöser Pinscher, dachte Allmers.
Der Patient, dessen Bett neben Allmers geschoben wurde, war stark bandagiert und bewegte sich nicht. Das Gesicht war rot und blau angelaufen und ein Auge war geschwollen. Als Allmers den Patienten genau betrachtete, erschrak er.
„Horst!“, sagte er verblüfft.
Horst Winkler blinzelte mit dem gesunden Auge. Mehr konnte oder wollte er nicht bewegen und Allmers hatte Verständnis.
„Eine Kuh?“, fragte er.
„Nein“, flüsterte Winkler. „Ich bin in eine Schlägerei geraten.“
Kapitel 5
Was für ein Schrank, dachte Allmers. Alex war ein Mann mit dem Körper eines Schwergewichtsboxers. Horst wirkte noch schmächtiger als sonst, als sich seine Frau Lissy und ihr Cousin Alex, dessen Nachname Allmers nicht kannte, vor seinem Bett aufbauten. Lissy weinte, als sie Horst in seinen Bandagen sah.
„Was haben die nur mit dir gemacht“, schluchzte sie, „was haben die nur mit dir gemacht?“ Sie nahm seine linke Hand und streichelte sie zärtlich. Horst freute sich, Allmers sah es an seinen Augen, die er unablässig auf Lissy richtete. Hans-Georg wusste, dass sie aus Polen stammte, ihr Akzent war unüberhörbar.
„Wir haben die Polizei benachrichtigt“, sagte Alex und Allmers wunderte sich über die helle Stimme, die überhaupt nicht zu dem massigen Mann passte.
Allmers hatte Alex ein paar Mal auf dem Hof von Winklers gesehen, er wusste, dass Lissys Cousin aus Polen oder Russland stammte. Er war ihm von Anfang an unsympathisch gewesen, aber heute erstaunte ihn Alex’ Anteilnahme. Er war genauso empört wie seine Cousine über die Schläger, die Horst fast tot geprügelt hatten.
Lissy hatte nur Augen für Horst, sie bemerkte Allmers nicht. Horsts Hand war nass von den Tränen, die ohne Unterbrechung aus ihren Augen strömten.
Horst erzählte Allmers später, dass Lissy ihn abends gebeten hatte, ein paar Altkleider in einen dieser Container zu werfen. Sie hatte gehofft, dass die Sachen nach Polen gingen. Da sie ja aus Polen stamme, sei ihr das wichtig gewesen. Und als er am Container ausgestiegen war und die Säcke aus dem Auto geholt hatte, sei er angepöbelt worden. Ein paar Männer, er glaube, dass es drei oder vier waren, hatten ihn erst beleidigt und als er sich das verbeten habe, hatten sie zugeschlagen. Als er seine Kieferknochen habe knacken hören, habe er gewusst, dass er keine Chance gehabt habe. Die Männer hätten Schlagringe gehabt, er habe sich dann zu Boden geworfen und alles über sich ergehen lassen. Irgendwann seien sie plötzlich weggerannt, vielleicht, so dachte er, seien sie gestört worden.
„Die hätten mich sonst totgeschlagen.“
„Wer hat dich denn aufgesammelt?“, fragte Allmers, der die Geschichte kaum glauben konnte. Wer, dachte er, sollte im Dorf ein Interesse daran gehabt haben, Horst Winkler zu verprügeln? Vor ein paar Jahren hatte es eine Horde Rechtsradikaler im Dorf gegeben, die gerne auf alle losgegangen sind, die auch nur den Anschein von Fremdsein erweckt hatten. Aber die waren mittlerweile alle weggesperrt oder freiwillig weggezogen. Wahllos auf Passanten einprügelnde Jugendliche hatte es im Dorf noch nie gegeben.
„Alex ist zufällig vorbeigekommen und hat mich zum Arzt gefahren“, sagte Horst, „dafür bin ich ihm immer noch dankbar.“
Allmers wurde zwei Tage später entlassen. Seine Kopfschmerzen waren verschwunden, die frisch operierte Nase schmerzte nur noch, wenn er sie berührte.
„Wenn du wieder fit bist“, meinte er zum Abschied zu Winkler, „machen wir gleich eine Milchkontrolle. Ich habe ganz schön viel Zeit verloren durch meinen Unfall.“
*****
„Vierzehn Tage habe ich im Krankenhaus gelegen“, sagte Allmers. „Gerne eine Käsesahne, wenn du hast.“
Hella Köhler hatte Allmers unbedingt im Krankenhaus besuchen wollen, ihr Mann Friedel hatte es aber abgelehnt, sie dort hin zu fahren. Es sei zu
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