Spinnenfalle
1
Damals, ganz zu Anfang, fand ich sie sympathisch.
Wirklich.
Ich fand sie richtig nett, wie sie da stand mit ihren langen, dunklen Locken und ihrem schüchternen Grinsen.
Ich bin genauso auf sie reingefallen wie alle anderen.
Angefangen hatte es damit, dass meine Mutter ein paar Wochen vorher verkündet hatte: »Ich finde, ich könnte jetzt wieder arbeiten. Ich war neulich in der Bibliothek und hab nachgefragt, und die sind ganz begeistert, weil ich ja durch meine Beurlaubung eine Stelle blockiere und sie also zu wenig Leute haben.«
Wir saßen beim Abendbrot und jeder reagierte anders.
Ich zuckte die Achseln und dachte: Wird auch langsam Zeit.
Immerhin sind die Zwillinge schon sieben und gehen in die Schule. Immerhin hat sie das mal studiert und sie liebt ihren Beruf - also soll sie auch wieder arbeiten dürfen.
Mein Vater lugte über seine Halbmondbrille und kniff die Lippen zusammen. Dann entspannte er sich wieder und fragte: »Und wie willst du alles unter einen Hut kriegen?«
Daniel angelte sich die letzte Salamischeibe vom Wurstbrett und kicherte. »Frag lieber, wie wir das alles unter einen Hut bringen sollen. Schließlich sind wir eine wahnsinnig emanzipierte Familie.«
Rina glotzte traumverloren in die Luft - die hatte mal wieder nichts mitgekriegt, sie lebt immer in irgendeiner Fantasiegeschichte. Vielleicht in dem Märchen von Hänsel und Gretel, jedenfalls irgendwas, wo arme Kinderchen in die böse große Welt geschubst werden.
Dafür hatte Tina genau zugehört und legte sofort den Finger auf die wundeste Stelle von Mamas Plan: »Und wer passt auf uns auf? Daniel ist immer weg und Alex ist zu streng.«
Ich grinste in mich rein. Es zahlte sich also aus, wenn man sich nicht immer auf der Nase herumtanzen ließ. Somit schied ich als Babysitter schon mal aus, das war mir sehr recht. Ich liebe die Zwillinge zwar heiß und innig, aber ich hatte keine Lust auf den Job als Dauerunterhalterin.
Meine Mutter räusperte sich. »Ihr könntet nach den Sommerferien Hortplätze kriegen. Da bekommt ihr nach der Schule ein leckeres Essen, und danach könnt ihr spielen, bis der Hort zu Ende ist.«
»Und wann ist das?«, fragte Tina.
»Äh … ich glaube, er schließt um fünf.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, polterte Papa los. »Du willst doch deine Kinder nicht bis fünf bei fremden Leuten lassen und …«
» Unsere Kinder!«, unterbrach Mama ihn ziemlich scharf. »Außerdem hast du ja gar keine Ahnung, was hier nachmittags los ist. Du redest doch wie der Blinde von der Farbe!«
»Also … wie kannst du …« Papa plusterte sich auf, aber noch bevor er richtig loslegen konnte, sagte Daniel: »Mama hat recht, Papa. Die Zwillinge sind eh nachmittags immer bei ihren Freundinnen, oder die Freundinnen sind hier. Da können doch alle auch gleich in den Hort gehen.«
»Ich will aber in keinen Hort!«, jaulte auf einmal Rina los. Anscheinend hatte sie doch was von der Unterhaltung mitgekriegt. »Hort ist blöd.«
»Ach ja?«, erkundigte ich mich. »Und wer sagt das?«
»Nicki.«
»Und in welchen Hort geht Nicki?«
»In keinen.« Rina merkte zu spät, dass sie gerade ein Eigentor geschossen hatte. »Äh, der hat aber mal …«
Ich winkte ab. »Hörensagen zählt nicht. Ich finde, Mama sollte wieder arbeiten, wenn ihr das denn Spaß macht.«
Mama grinste. »Danke für die Schützenhilfe, Alex, aber ich hab das schon lange mit Papa geklärt. Das eben war bloß ein Schaukämpfchen.« Sie kicherte.
»Heißt das, dass wir ganz bestimmt in den Hort müssen?« Tina, die sonst immer eine große Klappe hat, klang auf einmal ganz ängstlich.
Meine Mutter beugte sich zu ihr runter und streichelte ihr über die Wange. »Nein, Tinchen, das heißt es nicht. Hort ist nur eine Möglichkeit, und zwar frühestens ab Ende der Sommerferien. Von März bis zu den Sommerferien will ich ein Au-pair-Mädchen einstellen.«
»Und was ist Au-pair?«, fragte Rina. So wie sie das aussprach, hörte es sich kein bisschen französisch an, eher wie »Ohpeer«.
»Das sind junge Dinger, die Deutsch lernen wollen und für Kost und Logis in der Familie helfen«, leierte Daniel.
»Was ist Logis?« Tina ist vielleicht der frechere Zwilling, aber Rina ist mit Sicherheit der nervigere. Fragen, fragen und nochmals fragen.
»Logis heißt Unterbringung«, brummte Papa. »Ein Zimmer, ein Bett und ein Bad.«
»Und wo soll sie wohnen?«, fragte ich. Mir schwante plötzlich Schlimmes. Denn seitdem ich vor drei Jahren in
das Kellerzimmer
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