Milliardengrab (German Edition)
in so
manchem noch treuem Genossen. Vorbei die Zeiten, als
jeder Gedanke noch unbeirrt fest auf den Grundsätzen des realen Sozialismus
basierte. Niemand im Raum, der Vortragende eingeschlossen, glaubte ein Wort von
diesen abgedroschenen Phrasen. Kein Mensch dachte ernsthaft an das
Wiederauferstehen der SED oder des MfS. Inzwischen war der Geist des
Kapitalismus in die Köpfe der Funktionäre eingedrungen. Der Realsozialismus
wurde begraben - jetzt war die Valutamark real. Die Existenz des verborgenen
Vermögens der SED zog allerdings niemand in Zweifel. Um die Sicherung dieser
Gelder sorgte sich jetzt Generalmajor Fiedler.
Milliarden
waren über Jahrzehnte hinweg abgezweigt und verschoben worden. Es existierten
zwei Besitzstände in der Partei: Ein kleineres offizielles (um das kümmerten
sich die Anwälte) und ein inoffizielles, etwas größeres, mit diesem befassten
sich Fiedler und seine Trabanten. Die Kernfrage lautete: Wie kam man an diese
schwarzen Konten heran? Fiedler wusste zwar, wo er die Unterlagen dieser Konten
finden würde - nur, er würde sie nicht in die Hand bekommen. Für die
Beschaffung dieser Unterlagen rekrutierte er jetzt Personal. Jeder im Raum war
bereit mitzumachen und hoffte, so an ein kleines Vermögen zu gelangen. Die
berauschende Möglichkeit, in der nächsten Zeit für das eigene finanzielle
Wohlergehen zu agieren und die Aussicht auf Devisen beflügelte jedermann im
Raum nachhaltiger, als die alten Parolen. Die Vorstellung, hinsichtlich des
Ein- und Auskommens in Zukunft der Gnade des Klassenfeindes ausgeliefert zu
sein, war für keinen der Genossen erstrebenswert.
Der
General kam zum Finale:
»Abschließend
möchte ich mit aller Deutlichkeit festhalten, dass wir für alle erforderlichen
Operationen Generalvollmacht bekommen haben. Rückfragen sind in keinem Fall
erforderlich. Jeder kann so handeln, wie es ihm notwendig erscheint und der
operative Vorgang vor Ort es verlangt. Es versteht sich von selbst, dass
keinerlei Hinweise auf die Aktivitäten unserer Organisation oder der Partei
hinterlassen werden!«
Wer
diese Vollmacht erteilt hatte oder dazu befugt war, wollte keiner wissen.
Fiedler war nach dem (un-) freiwilligen Abgang der MfS-Führung unbestritten der
neue Mann. Nicht wenige sprachen ihn noch immer untertänig mit Herr Minister
an, obwohl das Ministerium für Staatssicherheit in der Normannenstraße nicht
mehr existierte. Dort tummelte sich mittlerweile das gemeine Volk. Man warf
unter den Augen der VOPO Computer, Akten und Mobiliar aus den Fenstern, es
herrschte Chaos. Nach etwa drei Stunden löste sich der illustre Kreis auf. Nur
einige, dem Generalmajor besonders eng verbundene Offiziere, blieben. Was hier
besprochen wurde, drang nie nach außen, war es doch wesentlich bedeutsamer, als
die zuvor im halboffiziellen Teil der Zusammenkunft diskutierten Maßnahmen zur
Rettung des SED-Vermögens. Der Kalte Krieg lag in den letzten Zügen. Der Kampf
ums Geld war nie erklärt worden, aber trotzdem ausgebrochen. Für die Genfer
Konvention gab es in dieser Schlacht keinen Platz.
Noch
war von Abspaltungstendenzen nichts zu bemerken, aber in den Köpfen Einzelner
gab es handfeste Überlegungen, auf eigene Faust Teile des Parteivermögens zu
bunkern. Nicht alle Pläne in dieser Richtung waren abwegig, wenngleich auch
kühne Vorhaben geschmiedet wurden. Grundsätzlich versuchte jeder alles zu
berücksichtigen, Gesetz und Moral natürlich ausgeschlossen.
Einst
hatten die Mächtigen diese Gelder kompliziert auf Hunderte von Konten verteilt,
die Zugangsdaten verschlüsselt und an verschiedenen Orten aufbewahrt - alles
nur, weil sie einander misstrauten. Jetzt hatte der Lauf der Geschichte den
Schatz in weite Ferne gerückt. De facto standen sie vor einem prall gefüllten
Tresor und konnten ihn nicht mehr öffnen, weil der Schlüssel verschwunden war.
Die Diebe wurden von Räubern bedroht - der Klassenfeind würde Nutznießer des
Vermögens werden, falls es nicht rechtzeitig abgezogen wurde.
Nur
eine Handvoll Leute waren in der Vergangenheit mit der Veranlagung der
illegalen Kassen befasst. Diese Bevollmächtigten kannten einander aus
Sicherheitsgründen nicht. Und jenen, die wussten wer diese Personen waren,
standen weder die Kontobezeichnungen noch die entsprechenden Banken und erst
recht nicht die erforderlichen Zugangscodes oder Losungsworte zur Verfügung.
Ein Einzelner konnte keinen Pfennig bewegen. Selbst Verschlussakten, die in
Mielkes Tresor in der Normannenstraße
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