Lesereise Rom
Ein Vorwort oder: Ciao, Mario!
Wer in Rom lebt, lebt gut. Die Sonne scheint, hell sind die Tage, die Menschen freundlich und elegant. Aus den Bars duftet der Kaffee, lebhaftes Stimmengewirr dringt aus den Restaurants, und Lebenslust liegt in der Luft. Unter jeder zweiten Pinie oder Säule steht ein Mensch mit gel-geschwelltem Haar, der lustvoll in ein Handy schwatzt ( »Ciao, Mario!« ), und flotte Frauen fahren auf dem Moped vorbei. Was ein echter Römer ist, der nimmt das Leben leicht und besteigt niemals das Kuppeldach der Peterskirche, höchstens als Schulkind. Samstag abends geht er aus, deshalb gibt es um ein oder zwei Uhr nachts an den Uferstraßen des Tiber regelmäßig Verkehrsstaus.
Rom, die Urbs, die Hauptstadt des alten Europa, ist mit all ihren Bizarrerien auch heute die Heimstatt des Urbanen und Humanen, jedenfalls im centro storico , der historischen Altstadt. Wer dort wohnt, unweit der Piazza Navona etwa, mag sich begeistern an der Vereinbarkeit von Gegensätzen, wie man sie in anderen Metropolen gar nicht mehr findet. Man hockt mitten drin in der Kapitale Italiens, so zentral, dass alle wichtigen Stellen, die etwa ein Auslandskorrespondent regelmäßig anzulaufen hat, in einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar sind: der Auslandspresseclub, das Parlament, der Regierungssitz, die Hauptquartiere der Parteien, der Vatikan. Und zugleich findet man sich doch im Dorfe wieder.
Man hört den Glockenschlag der nächsten Kirche und das Hämmern der Schreiner, die in der Nachbarschaft alte Schränke aufmöbeln. Man hört Maria, die Pförtnerin, und Santino, ihren Mann, in der Morgenfrühe mit den Nachbarn plaudern, man wird sehr schnell vertraut mit den Lebensmittelhändlern und Marktfrauen, bei denen man die täglichen Besorgungen macht. Beim dritten Mal schon fragen manche, ob man Kinder habe und ob man Anhänger der Mannschaft von AS Roma oder Lazio sei. Wer eine Brille trägt und den Eindruck macht, als ob er sie zum Lesen benutzte, wird als Dottore tituliert. In der Kaffeebar ist man rasch ein alter Bekannter ( »Ciao, Mario!« ), beim Friseur gibt es Unterweisung in Fußball und Währungsfragen, und Gianni, der Zeitungshändler am Kiosk in der Via della Pace, gibt zuverlässig Auskunft über die politische Stimmungslage.
Man wird schnell Freund mit Rom. Es ist so eine menschliche Wärme in der Stadt, das muss an den Römern liegen. Jeder Römer pflegt, wie alle Italiener, vielfältige Beziehungen, oft ist der Neffe des Schwagers eines Monsignore oder der Großcousin der Nichte eines hochmögenden Politikers im Hintergrund. Man sollte, so nennen sie es, einen Heiligen im Paradies haben. Die Ungerechtigkeit liegt darin, dass mancher keinen und mancher gleich mehrere Heilige hat. Was nicht heißt, dass die Römer besonders fromm wären. Im Gegenteil: Gerade in Rom hat der Papst erbitterte Gegner, aus Tradition.
Gibt es ein Problem zu lösen, so überlegt man erst, wen man kennt, der die Lösung des Problems befördern könnte ( »Ciao, Mario!« ). Nichts ist dabei wichtiger als die Familie und die Freunde, die amici . Man lebt im direkten Kontakt, und je besser die Kontakte, desto höher das Ansehen. Ein deutscher Kollege, der in sein Stammlokal einmal mit einem prominenten Fußballspieler zum Essen kam, wurde, nachdem die Erinnerungsfotos gemacht waren, vom Dottore zum Professore befördert, augenzwinkernd, versteht sich. Ein Tisch war seither immer frei für ihn.
So ist Italien, so ist Rom. Man kennt sich, man hilft sich, man ist nett zueinander, für Hindernisse gibt es Umgehungen. Man kommt weit mit Freundlichkeit. Mitten in der Stadt, am Monte Giordano, steht ein gewaltiger Palazzo, und bittet man den Pförtner höflichst um Erlaubnis, so darf man einen Blick in den Innenhof werfen. Es ist, als wäre man weit weg auf dem Land: Ein Schlossbau und eine grüne Wildnis tun sich auf, ein Brunnen rauscht, ein Vogel singt.
Nachts ist es in vielen Teilen der Altstadt so ruhig, dass jedes Moped einzeln quält. Krakeelende Betrunkene gibt es kaum, und wenn, dann sind es fast immer ausländische Touristen. Ist es ausnahmsweise einmal ein Italiener, der über die Stränge schlägt, singt er allenfalls eine Opernarie. Ansonsten ist in römischen Nächten hin und wieder ein seltsames mechanisches Knirschen zu vernehmen: Das ist die Müllabfuhr, die fährt hier nachts.
Wenn nur der wilde, chaotische Verkehr nicht wäre. Rom ist, wo seine zwei Millionen Autos sich bewegen, ein stinkender Moloch. Der Mangel an
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