Milliardengrab (German Edition)
Der Diplomat jedoch erbleichte sichtlich, als er den General
sah. Es waren nicht moralische Bedenken - so demoralisiert war der Botschafter
noch nicht! Liebend gerne hätte er sich den Inhalt von Fiedlers Aktentasche einverleibt.
Doch als er das verwegene Ansinnen des Generals vernahm, verfiel er in
schamhaftes Schweigen. Er wusste, seine Tage als akkreditierter Diplomat waren
gezählt, denn er gehörte der alten Garde an. Deswegen war sein Fortkommen
ungewiss. Der Botschafter hoffte auf eine Entlassung in den Ruhestand und eine
entsprechende Apanage - daran wäre nicht mehr zu denken, wenn er Fiedlers
Wunsch entsprochen hätte und die Sache aufgeflogen wäre. Dieses Risiko war ihm
zu groß, selbst für so eine gewaltige Summe - er war einfach zu feige. Er
verfügte neuerdings über etwas, das er nie gekannt hatte: ein schlechtes Gewissen.
Jetzt noch permanent das Gefängnis (dem Klassenfeind war alles zuzutrauen) im
Hinterkopf zu haben, das hätten seine strapazierten Nerven nicht ertragen. Er
verabschiedete den General so rasch seine Manieren es erlaubten. Man konnte
seine Angst riechen.
Fiedlers
Hals schwoll an, denn er sah sich außerstande, diesen Jammerlappen an die Kandare
zu nehmen. Fiedler hatte ihm zum Abschied zwischen Tür und Angel zu verstehen
gegeben, dass man einen General nicht ungestraft abblitzen lässt. Der
Botschafter war nach seinem Abgang schweißgebadet und schlief in der nächsten
Zeit unruhig.
Als
Fiedler in Schönefeld die Maschine der SWISSAIR verließ, wusste er in groben
Umrissen, wie vorzugehen war. Diese Bagage sollte ihn kennenlernen. Er war
bekannt dafür, dass er seine Wünsche rücksichtslos umsetzte, egal ob dabei
Feind oder Freund zu Schaden kam. Bereits im Flugzeug hatte er sich einen
Schlachtplan zurechtgelegt und noch in der Nacht erteilte er seine ersten
Befehle.
Podolsky
rückte einige Wochen später mit seiner Truppe aus, um die Anweisungen Fiedlers
umzusetzen. Es verging ein Jahr, bis alle Vorbereitungen getroffen und der
operative Vorgang im kapitalistischen Ausland umgesetzt werden konnte.
Die
DDR war inzwischen Geschichte. Am 1. Juli 1990 löste die D-Mark die Aluchips ab
und am 3. Oktober feierte ganz Deutschland die Wiedervereinigung. Ein Umstand,
der Fiedler kaum interessierte - soweit es sein Vorhaben betraf.
Berlin im Sommer 1991
Die
traditionsreichen Säle des Kammergerichts in Berlin sind eine eher trockene
Bühne, auf der Juristen leidenschaftslos ihre manchmal kaum verständlichen Wortgefechte
austragen und unlesbare Schriftsätze hin- und herreichen. Beileibe keine Stätte
für emotionale Aufreger. Heute allerdings war alles anders. Selten wurde das
Gesetz in einem Gerichtssaal so zur Nebensache degradiert wie an diesem Tag.
Sogar der schnöde Mammon trat für einige Zeit in den Hintergrund. Und das beim
hinsichtlich des Streitwertes größten Verfahren, welches jemals in Deutschland
vor einem Zivilgericht geführt wurde.
Für
zehn Uhr war der Prozess Bundesrepublik Deutschland gegen die Kommunistische Partei
Österreichs und die SED-Nachfolge angesetzt. Es ging immerhin um eine Milliarde
Mark. und - sie stand auf dem Programm, sprich der Zeugenliste: die rote Nora,
Nora Kaindel aus Wien, Treuhänderin für die verblichene SED und die KPÖ in Österreich.
Somit, zumindest juristisch betrachtet, Herrin über ein Milliardenvermögen. Vom
tatsächlichen Umfang dieses Vermögens wussten nur ein paar handverlesene
Insider. Die rechtmäßige Eigentümerin, die BRD als Rechtsnachfolgerin der DDR,
war ahnungslos.
Nora
Kaindel, sozialistische Kapitalistin mit untadeliger Gesinnung, sowie, in
diesem Falle nicht zu vernachlässigen, hinreichender Gerichtserfahrung und wie
man in Wien sagt, gefürchtetem Mundwerk, gab ihren Widersachern manches Rätsel
auf. Nora trug eifrig dazu bei, dass sich die Guthaben ständig verringerten. Es
war somit absehbar, wann auf den Konten Ebbe herrschen würde. Da sollte eine
einstweilige Verfügung des Gerichts auf Sperre dieser Konten Abhilfe schaffen.
Die
Medien hatten den Eingang des Gebäudes verbarrikadiert. Seit Stunden warteten
Fotografen auf Nora Kaindel aus Wien. Die Pressebank war zum Bersten gefüllt.
Mehr als hundert Personen konnten nicht mehr in den Saal. So mancher Zuhörer
war an der juristischen Komponente desinteressiert, sondern ausschließlich
wegen der Zeugin Nora Kaindel im Gericht.
Und
sie kam. Der fleischgewordene Traum der Versuchung schlechthin. Die
kastanienbraune Mähne zum Teil durch einen
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