Millie an der Nordsee
Millie!«
Uijuijuijuijui, was hat die kleine Schwester für ein lautes Organ . Papa dreht sich schon genervt um.
Na gut. Aber ehe sich Millie noch was anderes ausdenken muss, haben sie Sylt schon erreicht. Westerland heißt der Ort, wo die Eisenbahn hält.
Hups, auf dem Bahnhofsvorplatz stehen ja total windschiefe grüne Leute rum. Ach, das ist wohl Kunst. Sämtliche grünen Leute tragen den Kopf verkehrt herum.
Millie legt ihren Kopf schief, um die Gesichter der Verkehrt-herum-Leute richtig sehen zu können.
Trudelchen beugt sich sogar vor und versucht, durch ihre gespreizten Beine hinter sich zu gucken. Dabei plumpst sie um, aber mit Purzelbaum. Oje. Papa läuft schon hin und Mama sucht bereits in ihrem Rucksack nach Papiertaschentuch und Pflaster.
Aber Trudel heult noch nicht einmal! Sie ist nur verdutzt. Einmal wegen der grünen Verkehrt-herum-Leute und dann auch, weil sie so einen eleganten Purzelbaum hingekriegt hat.
Nach dieser kleinen Aufregung schlägt Mama vor, die Stelle von Sylt aufzusuchen, wo man einen freien Blick auf das offene Meer und das Watt sowie auf die Küste des Festlandes hat. Alles gleichzeitig.
»Das ist bei Kampen«, sagt Mama.
»Kampen?« Papa scheint zu überlegen. »Laufen da nicht die Nackten von Sylt herum?«
Hey, auf Sylt ist es ja interessant. Erst die grünen Leute und jetzt auch noch Nackedeis?
»Ach«, sagt Mama. »Das war doch nur damals so.«
Aber vielleicht sind die Nackedeis von damals ja noch immer hier auf Sylt und laufen splitterfasernackt am Strand entlang. Millie ist sehr neugierig.
»Auf alle Fälle sollten wir hoch an die Spitze der Insel fahren«, meint Mama. »Nur Schafe und Sand und Meer.«
Na ja, dann wird Trudel wohl tatsächlich einschlafen.
»Und der Hafen ist dort auch«, ergänzt Papa. »Wir könnten Fisch essen.«
Millie ist schon satt, wenn sie das bloß hört. Fisch essen geht nur, wenn Fisch aussieht wie Fischstäbchen.
Mama kauft sich noch schnell ein Büchlein über Sylt und dann geht’s weiter. Während Papa die Familie durch die Gegend chauffiert, blättert Mama in dem kleinen Reiseführer.
»Ah«, sagt sie plötzlich. »Hier steht was über einen Ene…mene…meck. Der heißt aber gar nicht so. Der heißt … puh … ich kann das gar nicht aussprechen.«
Sag schon, Mama, sag schon!
»Der heißt Ek-ke Nek-ke-penn.«
Ekke Nekkepenn? Das muss sich Millie merken. Das klingt richtig gut.
»Ist das auch so ein Kabollermann, oder was?«
Erst liest Mama noch ein wenig, dann sagt sie: »Hier wird er als Meermann beschrieben. Ein Wassermann also, dieser Ene…mene…«
Ekke Nekkepenn, Mama!
»Jedenfalls lebte der mit seiner Frau auf dem Grund der Nordsee«, berichtet Mama nun. »Als die ein Kind bekommt, will der Ene…mene… also der Meermann, dass die schöne, junge Frau des Kapitäns, der gerade mit seinem Schiff nach England unterwegs ist, seiner alten Frau zu Hilfe kommt. Die Kapitänsfrau macht das gerne und kommt reich beschenkt mit Gold und Silber auf das Schiff zurück. Den Namen vom Meermann aber kannte keiner.«
Ist ja auch schwer zu merken. Aber nicht für Millie!
»Nun wollte der Meermann jedoch die junge Frau des Kapitäns heiraten.«
»Weil seine Frau eine alte Hippe war?«
»Millie! Woher hast du denn den Ausdruck?«
Millie zuckt mit den Schultern. Hat sie bestimmt auf dem Schulhof aufgeschnappt. Oder von Gus.
»Na ja«, fährt Mama fort. »Jedenfalls ließ der Meermann das Schiff mitsamt dem Kapitän bei einem Sturm untergehen. Und dann machte er sich auf zur schönen, jungen Frau. Er behängte sie mit goldenen Ringen und Ketten.«
»Die sollte sie mal nehmen«, rät Millie. »Und dann schnell wieder abhauen.«
»So geht die Geschichte aber nicht weiter«, sagt Mama.
»Wie denn?«
»Der Meermann macht zur Bedingung, dass die junge Frau seinen geheimen Namen errät. Nur dann wäre sie frei.«
»Es ist Rumpelstilzchen! Rumpelstilzchen!«, brüllt Millie, und Trudel nickt dazu, dabei kennt sie das Märchen noch gar nicht. Sie ist erst bei Dornröschen angekommen.
»Nun wart’s doch ab!«, sagt Mama. »Tatsächlich hört die junge Frau nachts am Strand von Sylt seinen Namen, nämlich …«
»Ach ja«, unterbricht Millie. »Ekke Nekkepenn.«
»Aber dafür rächt er sich bis heute an den Syltern. Er schickt ihnen ständig Sturm und Fluten an die Küste, die auf der Seeseite immer mehr Stück für Stück abbricht.«
Dass die Geschichte wahr ist, kann Millie auch daran erkennen, dass an der Steilküste zum
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