Milo und die Meerhexe
sind!
„Was ist denn das da?“,
fragt Luca mit einem Mal.
„Das sieht ja gruselig aus.“
Vor uns schält sich eine schwarze Wand
aus dem trüben Wasser.
„Das ist das Todesriff“, sage ich.
„Dahinter wohnt die Meerhexe.“
„Das Todesriff?“, fragt Luca entsetzt.
„Aber da kommen wir doch nie durch!“
„Keine Angst“, beruhige ich ihn. „Das Riff heißt nur so. In Wahrheit ist es gar kein Riff, sondern bloß eine Mauer, die aus Tausenden kleinen schwarzen Fischen besteht. Es ist also vollkommen ungefährlich. Zumindest solange du keinen von ihnen verschluckst“, füge ich hinzu. „Sie sind nämlich giftig.“
„Und dahinter lebt die Hexe?“, versichert Luca sich. „Ja“, brummt Kapitän Petreus Pitterfield. „Da lebt sie. Oder besser gesagt: Dort hockt sie und rührt sich nicht von der Stelle.“
Ich drossele das Tempo und auch der Seemann hebt jetzt seine Hand und befiehlt: „Laaangsaaam!“ Er treibt in seiner Blase voraus und ich folge ihm mit Luca auf meinem Rücken. Garantiert tauchen jeden Moment diese schrecklichen Quallen auf und ziehen uns mit ihren Glibbertentakeln durch die Fischwand. – Und tatsächlich: Schon beginnt es rund um uns herum zu leuchten. Unzählige Quallen und bunte Blasen schweben auf uns zu. Aber diesmal machen die Quallen keine Anstalten, einen von uns zu berühren, sondern halten eine Flossenlänge Abstand.
„Sieh hin!“, rufen die Quallen.
„Sieh nur genau hin.“
Eine rosa leuchtende Qualle
stupst eine bunte Blase an.
Die Blase schwebt auf mich zu.
„Schau, was sie dir erzählt“,
sagt die Qualle.
Die Blase schwebt über mich hinweg.
Ich verdrehe die Augen und lasse ihr meinen Blick folgen. In der Blase erkenne ich einen Felsen am Boden des Meeres, der kaum größer ist als ein Delfinbaby. Der Felsen ist von feinen Rissen durchzogen und hinter diesen Rissen blinkt ein helles, goldfarbenes Licht. „Was ist das?“, frage ich staunend.
„Das wissen wir nicht“, säuseln die Quallen. „Die Hexe hat alles Wissen gefangen. Es steckt in den Blasen fest.“
„Was soll ich denn machen?“, rufe ich verzweifelt. „Wie kann ich das Wissen befreien? Und was hat meine Schwester Letti damit zu tun?“
„Das können wir dir leider nicht sagen …“, säuseln die Quallen.
„Ja“, fahre ich ungeduldig dazwischen. Die Hexe hält das ganze Wissen in ihren dummen Blasen gefangen.“ „Genau“, wispern die Quallen. „Aber wir haben der Meerhexe ein paar dieser Blasen gestohlen. Bestimmt erinnerst du dich daran. Als wir dich holten, nahmen wir sie mit ins Meer hinaus.“
„Ja, ich erinnere mich“, sage ich.
„Aber warum habt ihr es getan?“
„Damit du sie anschauen kannst“,
flüstern die Quallen.
„Und das Rätsel hoffentlich löst.“
Das verborgene Königreich
Verwundert starre ich die Quallen an. „Dann seid ihr also gar nicht die Diener der Meerhexe?“, frage ich.
„Natürlich nicht. Niemand ist ihr Diener“, erwidern sie und fangen nun leise an zu kichern.„Sie ist schrecklich böse und keiner kann sie leiden. Sie will für immer über uns herrschen. Und nicht nur über uns, sondern über alle Lebewesen des Meeres.“
Luca, der bisher vollkommen reglos auf meinem Rücken gesessen und keinen Ton von sich gegeben hat, beginnt nun unruhig hin und her zu rutschen.
„Was denkst du?“, frage ich ihn leise. „Können wir ihnen trauen?“
„Ich weiß es nicht“, presst Luca hervor. „Mir ist ganz seltsam zumute. Ich glaube, ich bin schon mal hier gewesen. Vor langer, langer Zeit.“
„Vielleicht müssen wir verhindern, dass das, was sich in dem Felsen befindet, herauskommt“, überlege ich. „Vielleicht will es uns alle vernichten.“
„Vielleicht“, zischen die Quallen. „Vielleicht solltest du dir aber auch einfach noch ein paar von unseren Blasen etwas genauer ansehen.“
„Nein“, sage ich entschieden.
„Ich habe keine Lust mehr auf Rätselraten.
Ich werde die Meerhexe befragen.
Luca, bist du einverstanden?“
„Oh nein! Oh nein!“, rufen die Quallen.
„Das ist euer und unser Verderben.“
„Hör nicht auf sie“, raunt Luca mir zu.
„Ich will zur Meerhexe.
Ich glaube, ich erinnere mich an sie.“
Zwar leuchtet es mir ganz und gar nicht ein, warum Luca schon einmal hier gewesen sein soll, aber ich spüre, dass Lettis Zeit allmählich abläuft und ich nicht mehr lange überlegen darf, wenn ich sie retten will.
„Dann halt dich jetzt gut fest“, raune ich
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