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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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    Julias Liebe hieß Gabriel, sie nannte ihn Engel. Alles an ihm erinnerte sie an einen Engel – der Name, die langen Locken und das Lächeln in seinen Augen. Sie war ihm im November begegnet, hatte es aufgeschrieben, an einem nebligen, feuchtkalten Tag. Er kam auf sie zu und lächelte sie an, und seine Augen waren ihr so leuchtend vorgekommen, daß sie sich später, wie sie schrieb, an ein kleines Licht zu erinnern glaubte, das da gebrannt hatte an diesem Novembertag, fast wie ein Nordlicht so klar. Danach hatten sie sich nicht mehr getrennt.
    Julias Wohnung lag im Dachgeschoß, es war ein bißchen eng. Kühl war es auch, denn das Küchenfenster stand immer einen Spalt offen, damit der Kater herauskonnte. Er balancierte auf dem Dach herum, besah sich den Himmel, bis er ins Rutschen geriet, dann kam er zurück und wollte fressen. Er hieß Abraham. Gabriel schenkte ihm Katzensnacks und Gummimäuse, meistens stand er mit ausgebreiteten Armen in der Tür, das Katzenfutter in der einen und Blumen für Julia in der anderen Hand.
    Abends spielten sie mit dem Kater, kochten und zündeten Kerzen an. Sie kochten gern Menüs nach, die sie in Edelrestaurants gegessen hatten, blind, wie Gabriel sagte, aus dem Gedächtnis, aber makellos. Waren die Nächte zu still, drehten sie die Anlage auf, bis der Nachbar aus dem zweiten Stock sich keifend auf den Treppenabsatz stellte. Er brüllte nur, wenn sie deutsche Schlager spielten und Gabriel mitsang, so laut es eben ging. Sie mochten laute Musik. Sie tanzten dazu, rutschten über den Holzboden, und der Kater schob sich behutsam zwischen ihren Füßen hindurch. Julia hatte den Himmel gesucht. Wenn die Hölle Alleinsein war und der Himmel ein Stück vom Glück, dann wollte sie dahin.
    Sie war zuversichtlich. Auf dem kleinen Glastisch vor dem Sofa lag eine Straßenkarte von Portugal. Ein Ort war mit Filzstift markiert, Beja. Zwei Teller und eine leere Flasche Rotwein daneben, ein Glas war umgekippt. Ein Rest Salat war noch in einer Schüssel in der Küche. Julia saß auf dem Sofa wie jemand, der fernsieht. Kissen stützten sie, damit sie nicht zur Seite kippte.
    »Da«, sagte Biggi. Dann ging sie einen Schritt zur Seite, damit er besser sehen konnte.
    Der Polizist war jung. Er trug eine saubere Uniform. Auf der Straße waren ihr schon Polizisten begegnet, denen irgend etwas draufgekommen war, Blut vielleicht, Senf vom Mittagessen, oder es hatte sie jemand bespuckt. Er zog die Luft ein. Er schnaufte und blieb stehen. Julias Gesicht war jedem zugewandt, der die Zimmertür öffnete.
    Der Polizist stand eine Weile da, dann sagte er: »Mein Kollege –« Quengelnd und zittrig hörte sich das an, wie bei einem, der Herzrasen hat. Sein Kollege stand noch draußen, wollte in dem Moment ins Zimmer, als der andere sich zur Tür drehte; er war älter und rief »Ui«, als er zum Sofa sah.
    Später hörte Biggi ihn flüstern, so etwas hätte er nach einem Verkehrsunfall erwartet. Als sei da jemand unter die Räder gekommen. Er meinte Julia. Sie sah aus, als wäre sie mehrmals auf den Boden geschlagen und hätte sich mühsam wieder hingesetzt. Die Nase war gebrochen, Julia hatte so eine Nase nie gehabt. Sie hatte tiefe Risse auf der Stirn und auf den Wangen, das Gesicht war eine Ansammlung von Hautfetzen, alles sah verrutscht aus. Und dann das Blut. Zuerst dachte man gar nicht daran, daß es Blut sein könnte, es sah wie Farbe aus, alte, angetrocknete Farbe, ein Eimer voll, ein umgekippter Eimer alte Farbe. Es war überall, war aus Julias Handgelenken gelaufen und aus den Armbeugen und breitete sich jetzt wie ein schmutzigroter Belag auf Julias hellbraunem Teppich aus.
    Der ältere Polizist sprach in sein Funkgerät, während der junge so breitbeinig vor ihr stand, als hätte er Angst, Biggi könnte weglaufen. Er sah sie nicht an. Sie fragte ihn, ob er die Wohnung jetzt absichern müßte oder wie sie das nannten, aber er kam nicht dazu, zu antworten, denn der Ältere schrie herüber: »Wo sind wir hier?« Biggi sagte ihm noch einmal die Adresse, und er brüllte sie ins Funkgerät. Sie lehnte sich gegen das Treppengeländer und sah, wie der Jüngere anfing, sich überall zu kratzen.
    »Kripo kommt«, sagte der Ältere.
    Biggi erzählte ihnen, daß Julia einen Kater hatte, den Abraham, und daß er nirgendwo im Zimmer war, aber das war eine Weile später und sie reagierten gar nicht darauf.
    »Wer kommt denn?« fragte sie leise. »Kommt jetzt das Morddezernat?«
    »Ja«, sagte der ältere Beamte. »Das

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