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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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sagte er, »das war vor vier Wochen, da waren Sie auf Lehrgang, die hat ja zehn Tage in diesem Wohnheim herumgelegen –«
    »– das heben Sie mir alles wieder auf.«
    »Seien Sie froh, daß Sie nicht dabei waren, da hätten Sie Ihr Riechöl brauchen können. Die haben nichts gemerkt, noch nicht mal die Sozialarbeiter. Psychiatrisches Wohnheim.«
    »Vielleicht lüften sie nicht«, sagte sie. »Manche suhlen sich im eigenen Mief, die merken dann nichts. Meine Nachbarin, wenn die ihre Tür aufmacht, falle ich um. Der macht das gar nichts.« Ina Henkel hupte einen Radfahrer an, der den Kopf drehte und ihr die Zunge zeigte. »Haben Sie den gesehen? So ein Arsch.«
    »Stranguliert«, sagte Stocker.
    »Was?«
    »Die Frau im Wohnheim. Hing an der Türklinke. Hat keiner gemerkt. So ’n Mitpatient von der hat gemeint, Gott hätte es ihm befohlen, war aber Suizid, ich hab Ihnen das doch auf den Tisch gelegt.«
    Sie schaltete das Radio ein. »Mein Onkel hat sich an der Türklinke erhängt; mir ist schleierhaft, wie das geht.«
    »Doch, das geht.« Stocker legte den Kopf zurück und schloß die Augen. »Sie müssen die Beine irgendwie ausstrecken. Wann war das?«
    »Mein Onkel? Vier Jahre her. Meine Tante hat sich gewundert, wieso sie die Tür nicht aufbekam. Sie war einkaufen, kam zurück und, na ja. Da hing er.«
    »Vielleicht hat er das gar nicht ernst gemeint. Mehr so als Warnung.« Stocker drehte die Musik leiser. »Bis die Frau vom Einkaufen kommt, ist bißchen knapp bemessen.«
    »Fürs Erhängen? «
    Er hustete. »Sie müssen nach links. Was wollen Sie denn geradeaus?«
    Vor ihnen stockte der Verkehr. Links eine Häuserzeile mit Satellitenschüsseln, rechts ein Gemüseladen mit Zucchini und Bananen auf hinfälligen Tischchen. Pakistani mit der Abendzeitung wie Tänzer im Gewusel. Ina Henkel trommelte auf das Steuer ein, Stocker brachte Ordnung in ihr Handschuhfach. Im Verkehrsfunk eine Suchmeldung: vierzigjähriger Mann, nicht in der Lage, sich zu orientieren, unternehmen Sie nichts Eigenmächtiges und informieren Sie die Polizei. Zwei rauchende Kinder vor einem Zeitschriftenladen, auf dem Gehweg eine Taube. Ina Henkel schlug mit den Fingern gegen das Steuer, so schnell und so heftig, als klopfe sie irgendwo an.
    Stocker klappte das Handschuhfach zu. »Merken Sie eigentlich, was Sie da machen?«
    Sie hörte damit auf.
    »Was hat er noch gesagt?« fragte er. »Hieber, meine ich.«
    Sie schob einen Fingernagel in den Mund, nuschelte: »Blut halt. Ganze Menge.«
    Manchmal hatten sie wochenlang keine Leiche. Manchmal ballte es sich.

3
    Als sie ausstiegen, hatte Biggi sie zuerst für Reporter gehalten, die kamen ja immer von überall her. Man machte sich keine Vorstellung von Kripoleuten oder eine falsche. Man sah viel fern, wußte sogar eine Menge vom Fernsehen und dachte trotzdem, sie trügen häßliche Lederblousons, die Männer wenigstens, oder, wenn sie sich verwegen gaben, einen verbeulten Parka.
    Die Frau hatte die Tür des weißen Opel Astra so heftig zugeschlagen, als solle das Auto für alle Zeit verschlossen bleiben. Sie war groß und schlank. Schulterlanges, dunkles Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie trug eine enganliegende Hose unter einem weiten Mantel, hielt den Kopf gesenkt. Der Mann hatte eine leicht gebogene Nase, wie Biggi das mochte, und kurzgeschorenes blondes Haar. Er war noch etwas größer als die Frau. Kein Lederblouson, ein Jackett. Er wirkte müde. Nicht so, als hätte er zuwenig geschlafen. Eher kraftlos, als mache ihm das Leben wenig Spaß. Beide waren viel jünger, als Biggi sich das vorgestellt hatte. Sie sahen wie Börsenmakler aus, die Freizeit hatten.
    »So«, sagte der ältere Uniformierte, der die ganze Zeit mit ihr gewartet hatte. »Das sind jetzt also die Frau Henkel und der Herr Stocker.« Er war nett gewesen, hatte Biggi nach draußen gebracht und gesagt, sie wollten jetzt beide mal Luft schnappen und warten, bis die Kripo komme. Es hatte wie bei einem alten Arzt geklungen, wenn er sagte: Wir messen jetzt mal den Blutdruck. Kurz vor den Kripoleuten war noch ein weiterer Streifenwagen gekommen und ein normales Zivilfahrzeug.
    Die Polizistin rannte an Biggi vorbei, direkt auf den Älteren zu, der ihr erzählte, sie sei das, sie hätte Julia gefunden. Er nannte sie nicht Julia, er sagte Leiche. Die Polizistin wirkte zerstreut. Sie sah Biggi kurz an, als überlege sie, ob sie etwas vergessen hätte im Büro. Biggi war einen Schritt auf sie zugegangen, weil sie dachte, sie müsse jetzt etwas

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