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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Das Tosen des Wassers wurde dumpfer. Um ihn herum gurgelte es.
    Erinnerungsfetzen schossen ihm durch den Kopf und verflüchtigten sich wied e r, bevor er sie greifen konnte. Das Bewusstsein spielte ihm Streiche, als wollte es ihm mit belanglosen Gedanken das Sterben erleichtern. Aber noch war er dazu nicht bereit. Er musste herausfinden, in was für eine Welt er da eben ausgespien worden war. Er wollte leben!
    Wieder wand er sich aus dem tödlichen Klammergriff des Wildbaches und kämpfte sich trotzig an die Luft zurück. Keuchend holte er Atem. Dabei schluckte er abermals Wasser und hustete. Kalte Klauen schienen sich um seine Fußgelenke zu schließen, um sie endgültig nach unten zu zerren, aber plötzlich sah er etwas Dunkles, Großes auf sich zukommen. Sein Blick war zu verschleiert, um mehr zu erkennen. Vermutlich würden die Pranken der Bestie ihn gleich gegen einen Felsen schleudern, um seinen Schädel zu spalten…
    Der Junge schrie voller Todesangst. Und dann schrie er vor Schmerz.
    Jemand hatte ihn am Schopf gepackt und gleich darauf am Nacken. Kraftvoll wurde er dem Griff der Stromschnellen entrissen. Das Wasser schien nach ihm zu schnappen, spritzte mit empörtem Zischen hoch, griff aber nur ins Leere.
    Der Junge brüllte immer noch wie am Spieß. Er fühlte sich von zwei Armen umklammert und herumgewirbelt, weg von der gierigen Gischt. Die Begleitumstände seiner Bergung taten mehr weh als die Verletzung am Bein.
    »Habe ich dir nicht schon tausendmal gesagt, du sollst dem Wasser nicht zu nahe kommen! Man kann ihm nicht trauen, nicht in diesen Zeiten.«
    Der Junge vermochte seinen Lebensretter nicht zu sehen, weil er rücklings auf dessen Brust lag. Er spürte lediglich dessen warmen Atem an seinem Ohr. Die tiefe Stimme des Mannes hatte nicht Wirklich freundlich geklungen.
    »Du könntest jetzt ruhig von mir runtergehen«, knurrte sie. Der Junge gehorchte sofort, wenngleich die Eile beim
    Herabrollen vom tonnenförmigen Brustkorb seines Retters
    neue Schmerzen in der Wade heraufbeschwor. Nachdem er sich mit den Fingerknöcheln das Wasser aus den Augen gerieben hatte, konnte er den Mann, der neben ihm auf dem Felsentisch saß, besser betrachten. Er hatte halblanges, schlohwe i ßes Haar, einen sauber gestutzten Vollbart und lebendig funkelnde, wasserblaue Augen. Seine gedrungene Statur war verkörperte Kraft. Dem Jungen erschien er uralt, was aber nicht recht zu der Beweglichkeit passen wollte, mit der sich der Weißschopf auf die Beine stemmte.
    »Ich kenne Euch…«, sagte der Knabe verwirrt.
    »Ha!«, lachte der Alte. »Ist das wieder einer deiner Streiche, Twikus?«
    Der Knabe lauschte dem Klang des Namens nach. »Twikus? S o heiß e ic h nicht.«
    Die dichten Augenbrauen seines Retters zogen si c h zusammen. »Ergil?«
    Der Junge ließ auch den anderen Namen auf sich wirken. Unvermittelt hellte sich sein Gesicht auf. »Ja, das bin ich.«
    »Und wie steht’s mit deinem Bruder? Ist er auch hier?«
    Ergil hob die Schultern und blickte sich um. Aus einer Spalte a m Rand des Felsens ragte ein Ast und auf diesem hockte ein neugierig herüberäugender Sperlingsfalke. Abgesehen von dem winzigen Greif und dem Mann konnte der Junge
    niemanden sehen. Er wollte gerade verneinen, als er plötzlich innehielt. Der Wald um ihn herum veränderte sich. Vor seinen Augen erschien ein Abhang, der zum Bach führte. Ein Junge rollte schreiend hinab. Es war kein anderer als er selbst. Das sprudelnde Wasser kroch den Berg hinauf, ihm entgegen. Er hörte ein Keuchen in seinem Kopf, das ihm nichtsdestotrotz fremd vorkam. Und dann eine lockende Stimme: »Kommt herab zu mir, kommt…!«
    Kaum einen Herzschlag später war die merkwürdig lebendige Erinnerung auch schon wieder entwischt. Ergil fasste sich an den Kopf und fühlte eine dicke Beule. Beim Sturz ins Wasser musste er tatsächlich einen ordentlichen Schlag bekommen haben, wenn seine Sinne ihm solche Streiche spielten. Er bemerkte das gespannte Gesicht des Alten und entsann sich der Frage. Ausweichend antwortete er: »Weiß ich nicht.«
    Der Alte nickte, als überrasche ihn die Antwort nicht. Auf seiner Stirn kräuselten sich Sorgenfalten. »Soll ich mich nun über dein unfreiwilliges Bad freuen oder nicht? Wenigstens scheint der Wildbach deinen Verstand freigespült zu haben. Oder war es die Todesangst?«
    De r W eißschopf machte sich daran, die Wunde des Jungen zu untersuchen. Überraschend behutsam streifte er das linke Hosenbein nach oben, in dem ein langer Riss

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