Schwarzbuch ÖBB
Vorwort
Kritische Stimmen aus den ÖBB
Spinnweben und Staub und in der Brausetasse Schimmel und Kalkablagerungen – so beschreibt ein ÖBB -Lokführer am 15. Dezember 2012 den Zustand des Zimmers, in dem er am Bahnhof Amstetten/ NÖ übernachten sollte. Und stellt in einem internen Bericht die Frage, wann sich daran etwas ändert.
Am 6. Mai 2013 berichtet ein Lokführer des Regionalexpress-Zuges Wien–Eisenstadt, dass vor der Abfahrt laut elektronischem Informationssystem die für die Sicherheit des Zuges notwendige Magnetschienen-Bremse elektrisch abgeschaltet war. Dem Reparaturbuch der Lok konnte er entnehmen, dass dieser Fehler bereits am Tag zuvor gemeldet worden war! – Laut geltender ÖBB -Betriebsvorschrift hätte dieser Zug also gar nicht fahren dürfen!
Am 10. Mai 2013 beobachtet der Lokführer des Regionalzuges Kötschach-Mauthen–Villach, wie das Reinigungspersonal der WC -Anlagen mit Fäkalien-verdreckten Handschuhen seine Lok besteigt. Er schreibt einen ÖBB -internen Bericht und weist darauf hin, dass er dieselbe Beobachtung schon wiederholt machen musste.
Am 21. Mai 2013 beschwert sich der Lokführer des Railjets Graz–Wien schriftlich darüber, dass seine Lok seit fast drei Monaten immer noch den gleichen technischen Fehler aufweist. Und er fragt, wie so etwas möglich ist.
Am 27. Mai 2013 beschwert sich der Lokführer des Regionalexpress-Zuges, der von České Velenice/Tschechien über Gmünd/ NÖ nach Wien fährt, dass die Steuerleitung zwischen Triebfahrzeug und Steuerwagen immer wieder unterbrochen wurde – geschätzte vierzigmal. Und dass es deshalb zu starken Zerrungen im Zug und zu Verspätungen kam. Laut Reparatur-Auftragsbuch gab es dieses Problem bereits seit März 2013!
Am 2. Juni 2013 um 13:15 Uhr berichtet ein Lokführer des Regionalzuges, der von Aigen-Schlägl/ OÖ nach Linz fährt, dass bei Kilometer 46,6 eine Person am Gleis lag – offenbar mit Suizidabsicht. Trotz Schnellbremsung konnte er den Zug nicht mehr rechtzeitig stoppen und prallte auf die Person auf. Weil es auf dem Führerstand seiner Lok keinen Funkempfang gab, verständigte er per Handy seinen Vorgesetzten. Eineinhalb Stunden später fuhr er weiter und wurde am Bahnhof Haslach abgelöst.
Misswirtschaft mit System
Diese sechs zufällig ausgewählten Berichte sind keine Einzelfälle. Sie stehen in einer ÖBB -internen Datenbank, die nur den etwa 4000 Lokführern und Lokführerinnen sowie deren Vorgesetzten zugänglich ist.
Es ist ein kollektives Lokführer-Tagebuch, in dem alle wichtigen Probleme und Vorfälle im Bahnbetrieb eingetragen werden: technische Störungen, nicht durchgeführte Fahrzeugreparaturen, Probleme mit unfähigen Managern, Konflikte mit Reisenden, Unfälle, Suizide, fehlerhafte Funksysteme, mangelhafte Reinigungsdienste, Missstände beim Übernachten in firmeneigenen Räumlichkeiten, unwillige Zug-Disponenten und vieles andere mehr.
Jeden Monat melden die Lokführer 1000 bis 1500 derartige Probleme. Eine Analyse von etwa 7000 Meldungen des vergangenen halben Jahres ergibt folgende Zustände bei den ÖBB :
1.
Mitarbeiter werden schlecht und unwürdig behandelt.
2.
Im Bahnbetrieb der ÖBB gibt es gravierende Qualitäts- und Sicherheitsprobleme: Notwendige Reparaturen an Fahrzeugen werden oft schlampig oder mit wochenlangen Verzögerungen durchgeführt.
3.
Jeden Monat können Hunderte von Zügen wegen technischer Mängel oder fehlender Überprüfungen nicht wie vorgesehen in Betrieb gehen oder den Zielbahnhof nicht erreichen.
Ich fahre Bahn
Wenn es um die ÖBB geht, scheiden sich die Geister. Es gibt Menschen, die mit der Bahn nichts zu tun haben wollen und nur darüber schimpfen; es gibt Menschen, die auf die Dienste der Bahn angewiesen sind – weil sie als Schüler oder Lehrlinge noch keinen Führerschein besitzen oder bereits zu alt fürs Autofahren sind; es gibt Menschen, die aus finanziellen Gründen oder aus Bequemlichkeit oder, um die Umwelt zu schützen, mit der Bahn fahren; und es gibt Menschen, die leidenschaftlich gern mit der Bahn fahren.
Ich benütze die Bahn, seit ich zehn bin. Für mich waren die ÖBB jahrzehntelang eine Institution, die sich nicht veränderte. Die Autos wurden schneller, die Zeit drehte sich schneller, aber die Bahn blieb »gemütlich« – zumindest in Österreich. Und während sie dahinzuckelte, wurden immer mehr Bahnstrecken eingestellt oder an das jeweilige Bundesland verkauft, und immer mehr Personen fuhren mit dem Auto oder benützten das
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