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Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
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anzutreten, solange nur sie allein im Besitz
der Atombombe waren.«
    »Sagen Sie mir lieber, wollen Sie Ihr
Verhältnis mit Mariana wieder aufnehmen?«
    Er mußte lachen: »Was für eine
verrückte Idee! Ich bin ein alter Mann, den das Leben und die politischen Verhältnisse
arg zugerichtet haben. Mich wird auch ein Wunder nicht mehr aufrichten. Und ihr
sind von ihrer Weiblichkeit nur die künstlichen Farben geblieben.« Noch einmal
lachte er auf und fragte dann: »Und Sie, haben Sie Ihre Vergangenheit so ganz
vergessen?
    Ich habe damals in der Zeitschrift
›al-Kaschkul‹ von Ihren Skandalaffären gelesen, zum Beispiel davon, wie Sie in
der Mohammed-Ali-Straße Frauen nachgestiegen sind, die ganz in ihre Milaja
gehüllt waren.«
    Ich lachte, ohne mich dazu zu äußern,
so fragte er: »Sind Sie schließlich zur Religion und ihren Satzungen
zurückgekehrt?«
    »Und Sie? Manchmal kommt es mir so vor,
als ob Sie an gar nichts glauben.«
    Ärgerlich gab er zurück: »Wie sollte
ich nicht an Gott glauben, da ich in seiner Hölle schmore!«
    »Menschen wie Sie sind für die Hölle erschaffen! Gott
wird Ihnen keinerlei Segnungen zuteil werden lassen! Verlassen Sie diese Stätte
der Reinheit, so wie Satan aus dem Gnadenreich Gottes verjagt wurde!«
    Die große Uhr im Salon
schlug Mitternacht. Der Wind pfiff durch den Lichtschacht. Ich saß in den
großen Sessel versunken, und Trägheit und Wärme hinderten mich daran, ins Bett
zu gehen. Einsamkeit bedrückte mich, als ich so allein im Zimmer saß, aber ich
sagte mir: Was nützt die Reue, wenn man die achtzig hinter sich hat!
    Plötzlich öffnete sich die Tür, ohne
daß jemand angeklopft hätte. Tolba Marzuq stand auf der Schwelle und sagte:
»Entschuldigung, ich habe am Licht in Ihrem Zimmer gemerkt, daß Sie noch nicht
schlafen.«
    Ich sah ihn erstaunt an. Er hatte an
diesem Abend mehr getrunken als sonst.
    Voller Selbstironie fragte er mich,
wobei er seinen Worten mit Kopfbewegungen eine besondere Bedeutung zu verleihen
suchte: »Können Sie sich überhaupt vorstellen, was ich gewohnheitsmäßig jeden
Monat für Medikamente, Vitamine, Hormone, Duftwässerchen, Salben und so weiter
ausgegeben habe?«
    Ich wartete darauf, daß er
weiterspräche, aber er senkte die Augenlider, als ob die Anstrengung ihn
erschöpft hätte, drehte sich um, schloß die Tür hinter sich und ging.
    Das Zelt war übervoll von
Menschen, und auf dem Platz, wo der Maulid gefeiert wurde, wimmelte es, als sei
dies der Tag der Auferstehung. Leuchtraketen explodierten in der Luft, und ihr
aufflammendes Licht durchschnitt die Dunkelheit, denn es war Maulid, der
Geburtstag des Propheten. Der Rolls-Royce verlangsamte seine Fahrt und kam vor
dem Zelt zum Stehen.
    Ihm entstieg Tolba Marzuq, und Scharen
von Angehörigen der Dimirdaschijja-Sekte eilten herzu, ihn zu begrüßen. Das war
die Glaubensrichtung derer, die die Liebe zum Propheten mit der zum britischen
Hochkommissar gleichermaßen im Herzen trugen. Der Besitzer des Rolls-Royce warf
mir einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann stolz von mir ab. Damals
sagte man, du seist betrunken dorthin gekommen, betrunken, ebenso, wie du heute
bei mir erschienen bist. Der Vorsänger wurde aufgefordert, in die Mitte des
Zeltes zu treten und anzustimmen: »O allerhöchster Himmel.«In den letzten
Stunden der Nacht sang er: »Oh, könnte ich dich sehen!« und versetzte die
Gläubigen in einen Wahnsinnstaumel des Entzückens.
    Wann war nur jene seltsame Nacht
gewesen? Genau wußte ich es nicht mehr, aber gewiß vor dem Tod des verehrten
Mannes, sonst wäre mir der Gesang nicht in dieser Schönheit im Gedächtnis
geblieben.
    Ich saß allein im Entrée
der Pension, niemand außer mir war da, als es an der Tür läutete. Ich öffnete
das Guckloch, so wie Madame es stets tat, und sah ein Gesicht vor mir, dessen
Anblick mich sofort froh stimmte. Es war das braunhäutige Gesicht eines Fellachenmädchens,
von einem schwarzen Tuch umrahmt, gut geschnitten, sehr natürlich in seinem
Ausdruck und beeindruckend durch den hübschen, wachen Blick seiner Augen. »Wer
bist du?«
    »Ich bin Zuchra«, sagte sie mit einer
Selbstverständlichkeit, als nenne sie den Namen einer hochberühmten
Persönlichkeit.
    Lächelnd fragte ich sie: »Und was
willst du, Zuchra?«
    »Ich möchte Madame Mariana sprechen.«
Ich öffnete ihr die Tür, und sie trat ein, mit einem kleinen Bündel in der
Hand. »Wo ist Madame?« fragte sie und schaute sich suchend um.
    »Sie wird bald kommen. Nimm

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