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Miramar

Titel: Miramar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagib Machfus
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Grübchen. Fast hätte sie meine kleine Enkelin
sein können. Die, die dann ihre Großmutter wäre, stand einen flüchtigen
Augenblick lang vor mir. Sie hat weder die Liebe noch die Ehe je erlebt. Ich
kann mich nicht mehr daran erinnern, wie sie aussah. Bargawan, Darb al-Achmar
und das Mausoleum von Sidi Abu s-Su'ud, dem Allheiler, jene Stätten des alten
Kairo, sind alles, was mir im Gedächtnis geblieben ist.
    »Wie lange werden Sie hierbleiben,
Ustas Amir?« Sie hatte mir den Nachmittagskaffee ins Zimmer gebracht, und ich
hatte sie gebeten, dazubleiben, damit ich mich mit ihr unterhalten konnte.
    »Ich wohne für immer hier, Zuchra.«
    »Haben Sie denn keine Familie?«
    »Ich habe niemanden auf der Welt außer
dir«, scherzte ich.
    Sie lachte aus vollem Herzen vor
Freude. Ihre Hände waren klein und hart, die Fingerspitzen rauh. Sie hatte
große Plattfüße. Aber ihre Figur und ihr Gesicht waren wunderschön.
    Einmal flüsterte sie mir zu: »Er ist
unsympathisch.« Ich wollte sie versöhnlich stimmen und sagte: »Er ist ein
unglücklicher alter Mann, und außerdem ist er krank.«
    »Er denkt, er ist ein Pascha, aber die
Zeit der Paschas ist doch schon lange vorbei!«
    Ihre Worte berührten mich seltsam, und
meine Gedanken durchwanderten den Zauberkreis eines ganzen Jahrhunderts.
    »Sie weigern sich, den Justizminister
zu besuchen, weil er nur ein Efendi ist ...«
    »Aber Exzellenz, Männer der Justiz haben
ihre Vorstellungen von Würde!«
    »Ich bin zuerst einmal ein Fellache,
sie jedoch sind Tscherkessen, das ist der Grund!« Dann, noch entschlossener:
»Hören Sie! Diese Leute haben mir lange genug den Pöbel zum Vorwurf gemacht,
und ich war ihnen gegenüber stolz darauf, der Anführer der unteren
Bevölkerungsschichten zu sein, all derer, die den blauen Gilbab tragen. Hören
Sie, der Besuch hat unbedingt stattzufinden, und zwar mit allem Respekt mir
gegenüber!«
    Sogar die Namen der Whisky-Sorten
behielt sie im Kopf, denn sie mußte sie im High-Life-Laden besorgen.
    Sie sagte mir: »Jedesmal, wenn ich sie
verlange, wenden sich mir die Blicke zu, und die Leute fangen an zu lachen.«
    Ich wiederholte in Gedanken meinen
Wunsch, daß Gott sie beschützen möge.
    Was für ein Lärm! Die Stimmen waren mir
nicht fremd, aber sie waren von einer leidenschaftlichen Lautstärke. Was
geschah da draußen? Ich stand aus dem Bett auf. Es war fünf Uhr nachmittags.
Ich zog meinen Morgenmantel an und ging hinaus. Ich sah gerade noch Tolba
Marzuq die Hände zusammenschlagend in seinem Zimmer verschwinden. Dann
erblickte ich Zuchra, die mit gebeugtem Rücken, finster dreinschauend und vor
Wut den Tränen nahe, dasaß. Madame stand höchst verärgert vor ihr. Was war
passiert?
    Madame erklärte, als sie mich sah:
»Zuchra ist sehr mißtrauisch, Amir Bey!«
    Ermutigt durch meine Gegenwart, sagte
Zuchra schroff: »Er wollte, daß ich ihn massiere!«
    Madame fiel ihr ins Wort: »Das
verstehst du nicht. Er ist krank. Wir alle wissen das. Er braucht Massage.
Früher fuhr er jedes Jahr nach Europa. Und wenn du es nicht tun willst, wird
dich niemand dazu zwingen!«
    Scharf warf Zuchra ein: »Von so etwas
habe ich noch nie vorher gehört!
    Ich betrat sein Zimmer, nichts ahnend,
und da lag er halbnackt auf dem Bauch.«
    »Hör auf, Zuchra! Er ist doch ein alter
Mann, älter als dein Vater! Das Ganze ist ein Mißverständnis! Steh auf, wasch dir
das Gesicht, und vergiß die Angelegenheit!«
    Wir saßen allein auf dem schwarzen
Kanapee. Draußen heulte der Sturm, die Fenster klapperten. Bedrückendes,
beklemmendes Schweigen lag über uns. Madame berichtete: »Er hat es tatsächlich
von ihr verlangt. Aber ich zweifle nicht an seinen guten Absichten.«
    »Aber Mariana!« warf ich leise und
bedeutungsvoll ein.
    »Zweifeln Sie etwa an seinen guten
Absichten?« fragte sie scharf zurück.
    »Frivolität kennt keine Grenzen!«
    »Aber er ist ein ehrwürdiger alter
Mann. Das wissen Sie doch selbst!«
    »Auch ehrwürdige alte Männer können
frivol sein.«
    »Ich habe ihm gesagt, daß sie das Geld
eher gebrauchen kann als eine andere, eine Fremde. Und sie ist doch schließlich
nur ein Fellachenmädchen!«
    »Und Sie hatten sich vorgenommen, sie
zu beschützen!« erinnerte ich sie.
    Tolba Marzuq kam und setzte sich mit
der Unbefangenheit und Gelöstheit eines Unschuldigen. Dann sagte er: »Fellache
bleibt Fellache, von der Geburt bis zum Tod.«
    »Lassen Sie sie leben und sterben, wie
Gott sie geschaffen hat«, entgegnete ich ärgerlich.
    »Sie ist

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