1605 - Blutnacht - Liebesnacht
Sie stieg zehn Minuten vor der verabredeten Zeit aus ihrem Polo und warf einen letzten Blick nicht nur zurück, sondern auch nach oben zum klaren, Winterhimmel, wo ein strahlender Vollmond wie hingeklatscht stand. Er beschien eine Landschaft, die unter einer bleichen Schneedecke lag und deshalb wie tot wirkte. Daran änderten auch die wenigen Lichter nichts, die in einer entfernt liegenden Senke blinkten und zu den Häusern eines kleinen Eifeldorfes zählten.
Dafür interessierte sich Anne Höller nicht. Für sie war nur der kleine Friedhof wichtig.
Er nannte sich Waldfriedhof. Wahrscheinlich hatte in der Vergangenheit hier einmal ein Waldstück gestanden. Jetzt war es verschwunden, und anstelle der Bäume wuchsen Grabsteine und Kreuze aus dem Boden.
Anne Höller wusste, dass es einen schmalen Weg gab, der bis zu ihrem Ziel führte und vor einer Mauer endete. Dahinter lag der Friedhof. Nur war die Mauer nicht sehr hoch, und im Laufe der Zeit hatten Pflanzen die Steine überwuchert.
Es war kalt in dieser Nacht, aber es war noch auszuhalten, denn es wehte so gut wie kein Wind. Da gab es nichts, was Kristalle und Flocken von der Schneefläche weggerissen und in die Höhe getrieben hätte.
Diese mondhelle Nacht war wunderbar. Romantiker, denen die Kälte nichts ausmachte, hätten ihre Freude daran gehabt.
Anne aber schüttelte über sich selbst den Kopf.
Es war verrückt, sich auf ein derartiges Treffen einzulassen. Zudem mit einem Menschen, den sie nicht kannte. Er hieß Darius, das war alles, was sie von ihm wusste.
Kennengelernt hatten sie sich über das Internet. Angeblich waren beide Singles, wobei es bei Anne stimmte. Glücklich war sie darüber nicht. Sie wäre gern eine feste Verbindung eingegangen und hatte schon einiges versucht, was sich jedoch meist nach spätestens drei Wochen als Fehlschluss herausgestellt hatte. Die Männer konnten ihren Wechseldienst als Polizistin nicht akzeptieren und waren gegangen.
Anne Höller hatte die Hoffnung trotzdem nicht aufgegeben und sich diesmal für das Ungewöhnliche entschieden, eben dieses Treffen mitten in der Nacht auf einem verlassenen Friedhof in der Eifel, nicht weit von der belgischen Grenze entfernt.
Wenn sie näher darüber nachdachte, musste sie zugeben, dass auch eine gewisse Abenteuerlust mit im Spiel war. Sie war auf diesen Darius gespannt denn wer suchte sich schon eine derartigen Treffpunkt für ein erst Treffen aus?
Entweder war dieser Mann originell oder völlig abgefahren. Vielleicht ein Gruftie, der seine beste Zeit schon hinter sich hatte. Das alles war möglich Aber Anne hatte auch für Rückendeckung gesorgt, was sie Überwindung und gutes Zureden gekostet halle, bis ihre Freundin schließlich zugestimmt hatte. Gemeinsam hatten sie einen Plan ausgeheckt, wobei die Freundin vorerst nicht in Aktion treten sollte.
Hinzu kam, dass Anne Höller eine Frau war, die sich zu wehren wusste wenn es darauf ankam. Als Polizistin musste sie körperlich auf voller Höhe sein, sonst lief nichts. Und auch besser als mancher männlicher Kollege. So jedenfalls dachte sie.
Ein Foto hatte sie zwar im Internet gesehen, nur sollte man das nicht unbedingt als eine Tatsache ansehen.
Nirgendwo wurde so viel gelogen wie im Netz.
Den Kragen ihres Mantels hatte sie hochgestellt. Die Mauer war bereits zu sehen.
Die Polizistin lauschte dem Knirschen des harten Schnees unter ihren Sohlen. Den Blick hatte sie nach vorn gerichtet, um schon jetzt über die Mauer auf ein leeres Gelände schauen zu können, das vom schwachen Schein des Mondes beschienen wurde und so etwas wie eine Gruselkulisse darstellte.
Die Temperatur lag unter dem Nullpunkt. Nichts wies in dieser Höhe auf Tauwetter hin. In diesen ersten Januartagen hatte die Kälte ganz Deutschland im Griff.
Direkt vor der Mauer hielt sie an. Ein Tor gab es nicht. Sie schaute über das Hindernis hinweg auf den Friedhof und sah die Grabsteine und Kreuze, die allesamt wie eingefroren wirkten. Es gab keine Bewegung auf dem Gelände. Selbst den Tieren schien es zu kalt zu sein.
Anne bewegte ihre Augen. Es war jetzt genau zwei Minuten vor zweiundzwanzig Uhr, aber ihre Internetbekanntschaft ließ sich nicht blicken.
Es war auch möglich, dass er sie reingelegt hatte. So etwas kam auch vor. Es bestand auch die weitere Möglichkeit, dass er sie an eine einsame Stelle locken wollte, um sie zu vergewaltigen. Zwar nicht eben in der Kälte. Aber niederschlagen und wegfahren war auch eine Möglichkeit. Nur würde er da
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