Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
sanften Zuspruch beruhigen lassen, mittlerweile scheinen die Wehen aber nicht nur regelmäßig, sondern auch ziemlich heftig zu sein. Er lächelt, als ich den Kopf schüttle. »Ich zeige es Ihnen.« Als hätten wir alle Zeit der Welt! Luis erklärt, wie man die Wehentätigkeit nach Stärke, Dauer und Regelmäßigkeit beurteilt. Ich versuche aufzupassen und trotzdem Frau Perkins’ Hand nicht loszulassen. Der Herzschlag des Babys ist erhöht, doch das ist normal. Zur Zeit des Entbindungstermins kann er auf bis zu 160 Schläge pro Minute steigen.
Luis bereitet die nächsten Untersuchungen vor. Es muss festgestellt werden, in welcher Position sich das Kind befindet und ob sich der Muttermund schon geöffnet hat. Er fragt Frau Perkins, ob es ihr etwas ausmacht, wenn ich dabeibleibe. Mich fragt er nicht. Also schiebe ich jede falsche Scheu beiseite und greife beherzt zu, als er mir die Ultraschall-Sonde in die Hand drückt. Ich bewege die Sonde über den dicken Bauch und vergesse auchnicht, die Patientin zu fragen, ob der Druck in Ordnung ist. Und dann schaue ich auf den Monitor und bin vollkommen sprachlos.
Ja, ich habe schon jede Menge Ultraschall-Babyfotos gesehen. Aber das hier ist etwas ganz anderes. Ich kriege Lehre und Wirklichkeit mal wieder überhaupt nicht zusammen. Dieses Babymädchen, das ich in ruckelndem Schwarz-Weiß auf dem Bildschirm sehe, wird morgen schon auf der Welt sein, lebendig und in Farbe. Ob sie schon irgendwie ahnt, was in den nächsten Stunden auf sie zukommt? Ist es möglich, dass sie eine Vorstellung davon hat, was bald passieren wird? Dass sie morgen hier draußen bei uns ist?
»Und?«, fragt Luis Berger.
»Sie ist wunderschön«, flüstere ich.
Luis lächelt. Oh Mann, Lena! Er wollte nicht hören, wie du das Baby findest. Du sollst beurteilen, wie es liegt! Ich kriege es nur stotternd hin, aber das macht nichts. Luis hat Verständnis für meinen Faszinationsaussetzer – und Frau Perkins hätte ich wohl keine größere Freude machen können als diese unprofessionelle Antwort.
Luis hilft ihr hoch. »Es geht frühestens morgen los«, lächelt er sie an. »Aber Sie können hierbleiben. Und Sie auch«, wendet er sich an mich. »Gut gemacht.«
Ich weiß weder was ich Besonderes getan habe, noch warum ein Hebammen-Hippie entscheidet, ob ich auf dieser Station bleiben darf, aber ich bedanke mich artig. Erstens, weil ich seine Bemerkung nicht unter »Gönnerhaftigkeit«, sondern unter »Freundlichkeit« abhefte – und zweitens, weil ich bei meiner ersten Begegnung mit einer Hochschwangeren immerhin mehr Nerven gezeigt habe als ihr eigener Mann.
Nach der Untersuchung fahre ich Frau Perkins und ihre Tasche im Rollstuhl in ein Patientenzimmer und beauftrage eine Schwester, ihr beim Auspacken und Einrichten zu helfen. Es fühlt sich großartig an, sachlich und wie nebenbei Ärztinnen-Anweisungen zu treffen. »Bitte gehen Sie Frau Perkins zur Hand, sie hat noch ein wenig Zeit, um sich auszuruhen« klingt zwarnicht so lebenswichtig wie während eines Schlussspurts über den Intensiv-Flur »Intubieren, 0,5 mg Suprarenin, 3 mg Atropin« zu rufen. Trotzdem, die Schwester, die mich nicht kennt, antwortet: »Alles klar, Frau Doktor!« Und ich werde 5 Zentimeter größer.
Im nächsten Moment tut mir der Stolz-Wachstumsschub schon leid, denn damit werde ich sichtbar für den fahrigen Ehemann der Patientin, der in dieser Sekunde vor mir um die Ecke biegt.
»Da sind Sie ja!«, brüllt er, immer noch kein bisschen leiser. »Wo ist meine Frau?« Ein Wunder, dass bei seinem Dröhnen nicht die bunten Beruhigungsgemälde von der Flurwand poltern. (Mir fällt jedenfalls fast das Namensschild vom Kittel.)
Ich könnte ihm sagen, wo sie steckt – und ihn los sein. Aber jede Sekunde, in der er seiner Frau nicht mit seiner Nervosität auf die Füße tritt, ist Gold wert. Deswegen erkläre ich ihm, dass sie sich gerade einrichtet und er auf jeden Fall gleich zu ihr darf – aber vielleicht mit einem schönen Blumenstrauß? Der Krankenhausshop ist gleich da unten …
»Blumen, jetzt schon?«, ruft er. Aber er lässt sich überzeugen und ich gewinne noch mindestens 10 ruhige Minuten für Frau Perkins, indem ich ihm den umständlichsten Weg zum Shop erkläre. Zum Glück hat ER ja keinen von Evelyns Stationsplänen.
Evelyn empfängt mich übrigens mit wissendem Lächeln. »Also hat er Sie gefunden?«, fragt sie und hat ihn offenbar bis hierher brüllen hören. Als ich nicke, zuckt sie bedauernd die
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