Miss Seeton riskiert alles
Gefühl der Sorglosigkeit überkam sie. War es Verzweiflung, der Sekt auf leeren Magen oder irgend etwas an diesem seltsamen Paar? Die alte Frau war so heiter, so sicher. Schnell, ehe sie ihre Ansicht ändern konnte, schloß sie sich ihr an. Sie legte alle Chips auf den Tisch: die drei gelben, die sie vorhin auf Nummer 31 gewonnen hatte, dazu die blauen, rosafarbenen, die schwarzen Einpfund- und ihren einzigen weißen Fünfpfundjeton auf Schwarz, Ungerade, die untersten Zwölf und auf das Dutzend.
Einem Beobachter mögen die Spieler teilnahmslos erscheinen, tatsächlich ist jeder der Gewohnheitsspieler empfindsam für die Stimmung des Raumes. Die beiden vorherigen Versuche Miss Seetons waren nicht unbemerkt geblieben, und dieser ihr dritter Versuch erregte ein gewisses Interesse. Als sie mit offensichtlicher Gleichgültigkeit den kleinsten Einsatz wählte, lächelte, dann ihre Meinung änderte und den größten Einsatz auf eine einzige Nummer setzte, begann das Publikum, sich um sie zu sammeln. Sogar die Frau mit dem Regenmantel und dem zerdrückten Filzhut verließ einen anderen Tisch, stand da und beobachtete sie, mit dem Notizbuch in der Hand.
Tom Haley holte tief Atem. Wenn der alte Borden das herausbekam, würde er rausfliegen. Aber zum Teufel – wer A sagt, muß auch B sagen. Seine Hand verschwand in Miss Seetons Tasche und kam gefüllt mit Marken wieder hervor. Er wählte die höchsten Jetons und stellte seinen Stapel neben die beiden anderen auf Nummer 13. Wie es das junge Mädchen getan hatte, verteilte er den Rest über den Tisch und setzte auf verschiedene Zahlen.
Unter den Zuschauern gab es eine Bewegung. Einige schoben sich impulsiv nach vorn, um auch zu setzen, hielten dann inne. Dreizehn? Glückszahl? Drei hatten schon einen Einsatz riskiert. Drei, die Glückszahl! Das Gleichgewicht könnte durch einen zusätzlichen Einsatz gestört werden und eins der unzähligen Gesetze, die ihren Aberglauben beherrschten, unwirksam machen. Während sie noch schwankten, verstrich die Zeit für den Einsatz.
Der Croupier hatte die Scheibe gedreht. »Rien ne va plus.« Miss Seeton stand auf. Sie hatte recht: Tom hatte zuviel Sekt getrunken. Und zu viel Gin. Sie kehrte zum Eßtisch zurück. Wenn er entschlossen war, das Geld der Polizei hinauszuwerfen – man nahm doch an, daß es öffentliche Gelder waren –, dann wollte sie lieber nicht zusehen. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer konzentrierte sich abwechselnd auf die Roulettescheibe und auf die erstaunliche, mit Juwelen beladene alte Frau, die so gleichgültig – so selbstsicher? – war, daß sie gar nicht erst das Ergebnis abwartete.
Haley war erschrocken. Miss Seetons Weggang holte ihn augenblicklich wieder auf die Erde zurück, und seine Zuversicht schwand. Die Scheibe verlangsamte sich, und auch die Kugel schien ihre Zuversicht zu verlieren. Sie ließ sich in einem Fach nieder, schnellte hoch und setzte sich in ein anderes; landete auf Rot und blieb dort für eine ganze Umdrehung, ehe sie wieder hochfederte und eine weitere Runde begann. Er würde ganz bestimmt wieder in einem Revier Wache schieben oder als Verkehrspolizist in einer Sackgasse Dienst tun müssen. Er schloß die Augen und versuchte, sich an Gebete zu erinnern. Das Mädchen an seiner Seite hatte einen starren, harten Blick, sah aber nichts, wußte nichts, nur daß sie sich elend fühlte.
Ein Murmeln aus der Menge ließ beide auffahren. Die Scheibe stand still. Der Rechen des Croupiers war schon in Bewegung und fegte die Spielmarken den Tisch hinauf zu Tom hin. Die Kugel lag in – das konnte nicht sein! Die Kugel lag in 13.
»Meine liebe Deirdre!«
Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Mädchens. Die lebendige Unterhaltung, die der zweite Gewinn bewirkt hatte, erstarb. Ihre linke Hand, die über einem Käsekanapee lag, wurde steif, und ihre rechte vergoß Sekt über das Tischtuch, während sie das Glas absetzte.
Tom Haley wurde aus seinen glücklichen Gedanken aufgescheucht. Man hatte ihm befohlen, dafür zu sorgen, daß Miss S. ein gewisses Aufsehen erregte. Das hatte sie auch getan. Sie hatte das Kasino gründlich geplündert und über viertausend Pfund herausgeholt. Aber niemand hatte ihm befohlen, daß er es selbst auch versuchen sollte. Besser, er bat sie, kein Wort darüber verlauten zu lassen. Er fühlte, daß er in Gefahr war, sich einen anzusäuseln. Er mußte aufpassen.
Obwohl er inzwischen vielleicht etwas betrunken war, kam ihm jetzt seine Ausbildung gut zustatten. Während er
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