Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
Körpergröße und seine Kleidung mit Muskeln und nicht mit Fett, wie bei dem feisten Ortsmeier, ausgefüllt. So verließ schließlich der Müller das halb in den Hang gebaute Haus nörgelnd und kurz darauf spürte das Mädchen den Blick Arianes auf sich. Vorsichtig linste sie nach oben und zu ihrer großen Erleichterung sah sie ihre Mutter feixen.
»Na? Wie habe ich mich geschlagen?«
Seliges Lächeln als Antwort und schon fühlte sie sich von den starken Armen der Köhlerin hoch- und herein gehoben und zum Tisch getragen. Sanft wurde sie abgesetzt, spürte eine kosende Berührung an ihrer Wange. Wie zart doch eine raue Hand sein kann, wenn es der Zärtlichkeit bedarf. Dankbar sah sie Ariane zu, wie jene mit flinken Bewegungen Feuer schürte, Milch zum Kochen brachte und Grieß einrührte. Honig troff reichlich hinein und ein Schnitz Butter zerschmolz langsam in der sämigen Masse. Das war nun wirklich eine seltene Köstlichkeit, und während sie sich Löffel um Löffel in den bereitwillig geöffneten Mund schieben ließ, fing der Schrecken dieses Tages an, zu verblassen. Ariane aber zwinkerte ihr zu und beugte sich verschwörerisch nach vorn. »Eines musst du dir merken, Kind. Ein hohes Amt schützt vor Dummheit nicht und der Müller ist ein besonders blöder Kerl.« Mit einem offenen Mund voller Brei starrte das Kind Ariane an. Aber nur kurz. Dann beeilte es sich zu schlucken, um in das gurrende Gelächter Arianes mit einzustimmen.
In jener Nacht schlief das Kind gut und nur selten träumte es ihm von einem Borkenkeiler, der mit brennenden Rückenborsten durch den Wald preschte, auf der Suche nach demjenigen, der ihm das angetan hatte. Ansonsten wurde sie von ihren beängstigenden Träumen verschont und das geschah selten genug, um dankbar dafür zu sein. Ruhig, friedlich und nicht, wie so oft, von fiebrigen Nachtmahren geplagt, lag sie da und Ariane beobachtete sie dabei. Nahm erneut die Zerbrechlichkeit des kleinen Körpers wahr, das für einen so jungen Menschen ausdrucksstarke Gesicht mit den grauen Augen, die nun freilich geschlossen waren, jedoch im wachen Zustand soviel älter wirkten als ihre kindliche Besitzerin. Was für ein seltsames Kind dies doch war. So seltsam, dass es ihrem Mann und ihr noch nicht einmal recht erschien, ihm einen Namen zu geben; und so nannten sie es eben schlicht Kind.
Ihr Leben als Köhlerfamilie war schon zuvor nicht einfach und würde Mors nicht zusätzlich als Fallensteller etwas zum Auskommen beisteuern, die Not wäre kaum zu bewältigen gewesen. Vor fast einem Jahr war er ausgezogen, um seine Fallen zu prüfen und zwei Tage später, mit etlichen toten Kleintieren um die Hüfte und einem Mädchen von womöglich fünf oder sechs Jahren auf der Schulter, zurückgekehrt. Ihre Fragen ignorierte er und wenn er auch, angesichts der Tatsache, einen weiteren Esser gebracht zu haben, etwas schuldbewusst dreinschaute, ließen seine Art und Haltung keinen Zweifel aufkommen, dass jenes kleine Mädchen nun zu ihnen gehören würde.
Was genau sich zwischen den beiden dort im Wald zugetragen hatte, erfuhr sie nie. Vor fast einem Jahr war das gewesen, aber das Kind hatte nur einen winzigen Bruchteil dieser Zeit gebraucht, um einen festen Platz in ihren Herzen zu erobern. Da das Mädchen selbst nichts über seine Herkunft zu erzählen wusste und Mors und Ariane kinderlos waren, freute man sich bald im Dorf über den Zuwachs, und das Glück der Köhler wurde allgemein wohlgefällig betrachtet.
Njörndaal war nur ein kleines Dorf, ein Weiler fernab jeder größeren Siedlung und inmitten des Tjorkewaldes, an den Grenzen der Grafschaften Tessloher Mark und Gau Bresswang, gelegen. So hatte Njörndaal, je nach Blickwinkel, gleich zwei Herren oder keinen. Bisweilen stritt man sich über den kleinen Weiler, bisweilen vergaß man ihn für Jahre. Das sorgte dann dafür, dass andere, selbst ernannte Herren sich an den kärglichen Vorräten der kleinen Ortschaft gütlich tun wollten und wenn dann ein Großteil der Wintervorräte verschwand, konnten sich die Bewohner noch glücklich schätzen, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Doch dieses Jahr hatten weder normale noch Banditen edlen Blutes den Weiler heimgesucht; und jeden Tag warteten die Menschen auf das Unglück etwas banger.
So waren die Umstände, als das Mädchen in ihr Leben trat. Als dann die Träume kamen, verfinsterte sich der Himmel der kleinen Familie zusätzlich. Dabei begann es denkbar harmlos. Natürlich träumten auch die
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