Mistreß Branican
Verwandten zu verabschieden.
Dolly war erst zwei Jahre verheiratet und das Kind war kaum neun Monate alt. Obwohl sie diese Trennung tief schmerzte, so wollte sie es doch nicht sehen lassen und hielt gewaltsam die Thränen zurück. Ihre Cousine Jane, die schwächlicher Natur war, konnte ihre tiefe Regung nicht bemeistern. Sie liebte Dolly ungemein, bei der sie oft gegen den heftigen und herrischen Charakter ihres Mannes Schutz gesucht hatte. Wenn auch Dolly ihre wahren Gefühle zu verbergen sachte, so wußte doch Jane, welch’ namenloser Schmerz ihr Herz zusammenpresse. Ja, Capitän John sollte in sechs Monaten zurückkehren, aber es war doch eine Trennung – die erste seit ihrer Hochzeit – und wenn sie auch stark genug war, ihre Thränen zurückzuhalten, so weinte Jane mit für sie. Was Len Burker anbelangt, der nie eine zarte Regung gekannt, noch nie seinen strengen Blick gemildert hatte, so ging er mit den Händen in den Taschen auf und ab, indem er bei dieser Scene an wer weiß was dachte. Aber das war sicher, daß er mit den Besuchern, die ein herzliches Gefühl auf das scheidende Schiff geführt hatte, nicht eines Sinnes war.
Der Capitän John nahm seine Frau bei beiden Händen, zog sie an sich und sagte gerührt:
»Liebe Dolly, nun muß ich scheiden… Ich werde nicht lange fort sein… In einigen Monaten wirst Du mich wiedersehen… Ich werde Dich sicher wiedersehen, liebe Dolly… Hab’ nur keine Furcht… Mit einem solchen Schiffe und solchen Matrosen braucht man nichts zu fürchten… Sei stark, wie es die Frau eines Seemannes sein muß… Wenn ich zurückkehren werde, wird unser Wat fünfzehn Monate alt sein… Dann ist er schon ein großer Junge… Er wird sprechen, und das erste Wort, welches ich bei meiner Rückkehr hören werde, wird…
– Dein Name, John, sein!… erwiderte Dolly. Dein Name wird das erste Wort sein, das ich ihm lehren werde!… Wir werden von Dir alle Tage… immer sprechen… Lieber John, schreib’ mir bei jeder Gelegenheit!… Mit welcher Ungeduld ich Deine Briefe erwarten werde!… Schreibe mir Alles, was Du gemacht hast, was Du zu thun gedenkst… Wie werden meine Gedanken bei Dir sein…
– Ja, liebe Dolly, ich werde Dir schreiben… ich werde Dich von dem Laufenden in Kenntniß setzen… Meine Briefe werden wie das Schiffstagebuch sein, nur zärtlicher!
– Ach, John, ich bin auf dieses Meer eifersüchtig, das Dich so weit tragen soll!… Wie beneide ich die, welche sich lieben und sich nie im Leben zu trennen brauchen!… Aber nein, ich habe Unrecht, daran zu denken…
– Liebe Frau, ich bitte Dich, sage Dir stets, ich unternehme diese Reise unseres Kindes wegen… auch Deinetwegen… um uns beide dem Glücke und dem Wohlstande zuzuführen… Wenn sich unsere Hoffnungen eines Tages erfüllen, so werden wir uns nie mehr trennen!…«
In diesem Augenblicke traten Len Burker und Jane heran, und der Capitän wandte sich an sie:
»Mein lieber Len, sagte er, ich übergebe Ihnen meine Frau und mein Kind… Ich vertraue sie Ihnen an als den einzigen Verwandten, die ihnen in San-Diego zurückbleiben.
– Rechnen Sie auf mich, John, erwiderte Len Burker, indem er die Rauhheit seiner Stimme zu mildern suchte. Jane und ich sind ja da… Es wird Dolly an nichts fehlen…
– Auch nicht an Trost, fügte Mrs. Burker hinzu. Du weißt, wie ich Dich liebe, theure Dolly!… Ich werde Dich recht oft besuchen… Jeden Tag werde ich einige Stunden bei Dir zubringen… Wir werden von John sprechen…
– Ja, Jane, erwidert Mrs. Branican, und ich werde nicht aufhören, an ihn zu denken!…«
Harry Felton unterbrach von Neuem das Gespräch.
»Capitän, sagte er, es ist Zeit…
– Gut, Harry, erwiderte John, lassen Sie das Focksegel und die Brigantine hissen!«
Der Officier entfernte sich, um diesen Befehl ausführen zu lassen, was einen sofortigen Aufbruch bedeutete.
»Herr Andrew, sagte der junge Capitän, indem er sich an den Chef wandte, das Boot wird Sie jetzt mit meiner Frau und ihren Angehörigen an das Land zurückführen… Wenn Sie wollen…
– Sofort, John, erwiderte Andrew, also noch einmal: Glückliche Reise!
– Ja… Glückliche Reise!… wiederholten die anderen Besucher, die in das Boot hinabzusteigen begannen.
– Adieu, Len… Adieu Jane, sagte John, indem er Beiden die Hand schüttelte.
– Adieu!… Adieu!… wiederholte Mrs. Burker.
– Und Du, liebe Dolly, mußt jetzt auch gehen… es geht nicht anders, fügte John hinzu. Der »Franklin« wird
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