Die jungen Rebellen
1
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Ábel, der Sohn des Arztes, liegt mit dröhnendem Kopf auf dem Bett, zittrig und schweißnaß, als habe er Fieber.
Durch den oberen Teil des geöffneten Fensters sieht er verschwommen einen Baum, ein Dach, einen Schornstein, aus dem eine dünne Rauchsäule aufsteigt. Im Zimmer, diesem niedrigen Raum mit gewölbter Decke, ist es bereits dämmrig, dunkler als auf der Straße; frühsommerliche Wärme dringt herein, die Gaslaternen flimmern grünlich, wie in Nebel gehüllt. Aus der Küche hört Ábel das leise Singen des Dienstmädchens, das beim Bügeln ist. Ab und zu tritt sie mit dem Plätteisen auf den Gang vor der Küche, wirbelt das Eisen über ihrem Kopf herum, um die Glut anzufachen. Funken stieben wie Schwefelhölzchen, die in der Dunkelheit angerissen werden.
Die Freunde hatten sich schon um drei Uhr verzogen. Ihm ist zumute, als wäre er ohne Übergang aus einem schrecklichen Traum erwacht; der Geruch nach Tabak und Likör, noch vom Kartenspiel am Mittag, verursacht ihm Übelkeit.
Doch nun muß er sich aufraffen, es ist sieben Uhr, man erwartet ihn bereits. Vorsichtig bewegt er den Kopf und schaut geistesabwesend um sich. Jetzt wird gleich alles in Ordnung kommen, er muß nur ganz aufwachen, ins Leben hinaustreten und es mit Fleiß und liebenswürdigem Auftreten zu etwas bringen. Er grinst verlegen, setzt sich mühsam auf, bewegt die Beine, in die kribbelnd das Blut zurückfließt. Im Dunkeln tappt er zum Waschkrug, beugt den Kopf über die Waschschüssel und läßt das abgestandene Wasser über die verklebten Haare laufen. Triefend tastet er sich zur Tür und findet den Lichtschalter. Er hat Probleme mit dem Schlucken und gießt Mundwasser in ein Glas, um zu gurgeln.
Das Mädchen muß das Licht im Zimmer des Jungen bemerkt haben, denn es hört auf zu singen. Ábel setzt sich an den Tisch und beginnt zerstreut, sich mit dem flauschigen Handtuch die Haare zu trocknen.
Die Tante würde nicht vor acht nach Hause kommen. Als er noch ein Kind war, hat sie ihm oft erzählt, daß er einmal ihr Vermögen erben würde. Dieses »Vermögen« befand sich nach ihrer Schilderung gut versteckt an einem Ort, wo es vor dem Zugriff von »Börsianern und Agenten« sicher sei. Die Tante haßte die Börse, doch hat sie diesen Haß nie genauer begründet. In der Vorstellung des Jungen blieb die Börse eine finstere Höhle in einem Felsen, und vor dem Eingang kämpfte Ali Baba mit einigen bis an die Zähne bewaffneten Männern, die ihr Geld gegen die vierzig Räuber verteidigten. Die unheilvolle Bedeutung eines Freitags spielte in der Erzählung ebenfalls eine Rolle. Die Tante spricht oft von ihrem Vermögen, berichtet gelegentlich in bedeutsamem Ton, daß sie gerade heute danach gesehen habe und alles in Ordnung sei, Ábel müsse sich über seine Zukunft keine Sorgen machen, das Vermögen sei ihm sicher. Einmal hat der Junge den sicheren Ort ausgespäht –eine Blechbüchse in der Kommodenschublade der Tante – und fand darin alte, aus dem Verkehr gezogene Lombardbriefe, ein paar Banknoten aus der Kossuth-Zeit und verfallene Lotterielose. Nein, das Vermögen der Tante kann hier nicht mehr helfen.
Er tritt vor den Spiegel und betrachtet geistesabwesend sein verknittertes Gesicht, setzt sich dann wieder zurück an den Tisch. Die Frage ist, denkt er, ob Geld hier überhaupt noch helfen kann. Es mag Situationen geben, in denen Geld und alles, was für Geld zu haben ist –Urlaub, Reisen, Distanz –, keinen Sinn mehr hat. Er zieht die Tischlade auf, Hefte und eng beschriebene Blätter liegen ordentlich übereinandergeschichtet darin. Aufs Geratewohl nimmt er ein Gedicht heraus und liest selbstvergessen, halblaut. Das Gedicht handelt davon, daß ein Hund in der Sonne liegt. Wann hat er das geschrieben? Er weiß s nicht mehr.
Das Mädchen klopft, bleibt in der Tür stehen und fragt, ob er zum Abendessen zu Hause sei. Mit in die Hüften gestemmten Armen, lässig an die Tür gelehnt und mit anbiederndem Lächeln, steht sie da. Der Schüler mustert sie und zuckt die Achseln. Das Mädchen bringt einen beißenden, leicht säuerlichen Geruch ins Zimmer, der aus den Falten ihres Rockes aufsteigt und in der Nase kribbelt.
In letzter Zeit hat er manchmal das Gefühl, als überschaue er in jedem Augenblick sein ganzes Leben. Als ob die Veränderung, die mit ihm geschieht, alles an die Oberfläche spült, was er je erlebt hat; als ob er gleichzeitig sich selbst als kleinen Jungen mit seinem Vater sieht und die
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