Mit 50 hat man noch Träume
deutschen
Touristen und jeden Einheimischen, der sich in ihr Lokal verirrte, und begrüßte
ihn überschwänglich, aber dank der genialen Idee ihres Erstgeborenen, Wang Yi, waren
sie auf deutsche Gäste glücklicherweise nicht angewiesen. Nicht mehr . Zhang
Liu lächelte stolz. Vor drei Jahren hatte ihre Tochter Mei Ling dann dafür gesorgt,
dass in den Prospekten eines chinesischen Reiseunternehmens, zu dem sie freundschaftliche
Beziehungen pflegten, Altenahr als typisch deutsches Städtchen angepriesen
wurde . Seither florierte das Geschäft. Den Gebäudekomplex, in dem sich ihr
Restaurant samt Hotel befand, hatten sie im letzten Jahr vom Eigentümer gekauft.
Sie hatten viel dafür bezahlt, aber die Investition würde sich rechnen, denn die
Pacht war hoch gewesen. Zhang Liu überlegte, dass sich die Geldausgabe in fünf Jahren
schon amortisiert haben könnte. Fast täglich trafen Reisebusse voller Chinesen ein,
die mittags und oft auch abends bei ihnen aßen, nämlich dann, wenn sie hier übernachteten.
Im Grunde
genommen waren ihre Kapazitäten noch zu knapp, überlegte sie. Ihre Landsleute liebten
Altenahr, den romantischen Flusslauf, das alte Fachwerk der Häuser, die Burg Are
und natürlich den Wein, den sie in großen Mengen bei der Winzergenossenschaft einkauften.
Sie dachte, dass die Gemeinde ihrer Familie eigentlich zu großem Dank verpflichtet
war. Davon war aber leider nichts zu spüren. Bekümmert schüttelte sie den Kopf.
Schließlich hatten die Wangs und niemand anderes dafür gesorgt, dass Altenahr neben
dem Münchner Hofbräuhaus, dem Brandenburger Tor und dem Kölner Dom mit zur festen
Reiseroute eines chinesischen Veranstalters gehörte. Sie selbst war jedenfalls sehr dankbar. Zhang Liu lächelte vor sich hin. Ihre Kasse klingelte jeden Tag. Morgen
würde sie wieder zur Bank gehen, um die Einnahmen der letzten Tage einzuzahlen.
Ihr Sohn lieferte das eingenommene Geld jeden Abend bei ihr ab.
»Ich habe
gegenüber noch keinen einzigen Mann gesehen«, bemerkte sie nun und reckte den Kopf.
Lao Wang
blinzelte.
»Haben sie
denn keine Ehemänner ?« Lao Wangs Frau pürierte noch etwas Fisch. Ihr ehemals
tiefschwarzes Haar war inzwischen grau geworden, mittlerweile trug sie es kurz.
»Und wo sind die Kinder?«
»Vielleicht
sind sie längst erwachsen und gehen ihre eigenen Wege, und vielleicht kommen die
Männer ja noch«, mischte Wang San sich ein. Er achtete seine Mutter und seinen Vater,
aber es nervte ihn auch, wie sehr sie den alten chinesischen Vorstellungen verhaftet
waren. Eine Frau ohne Mann war in ihren Augen mehr als verdächtig. Entweder hatte
sie keinen abbekommen, weil sie zu hässlich war, sie war geschieden, oder sie war
ein Flittchen. Eins war schlimmer als das andere, in jedem Fall gefährdete eine
Frau ohne Mann die Familienehre, es sei denn, sie war hoch betagt und Witwe.
Wang San
dachte an seine Schwester Mei Ling, die ebenso wie er selbst nicht im Entferntesten
an eine Heirat dachte. Sie waren in Deutschland geboren und aufgewachsen, und nach
und nach hatten sie sich von der traditionellen chinesischen Vorstellung von Familienglück
distanziert. Zum Leidwesen seiner Eltern, das wusste er. Sie hatten die Hoffnung
nicht aufgegeben, dass er irgendwann doch noch, und er war immerhin schon 40 Jahre
alt, eine Chinesin heiraten und für Nachwuchs sorgen würde. Unbeirrt hielten sie
für ihn und auch für seine Schwester im Köln-Bonner Raum bei befreundeten chinesischen
Familien nach geeigneten Ehepartnern Ausschau, und so sahen sie über seine gelegentlichen
Treffen mit deutschen Frauen stillschweigend, aber deswegen nicht weniger missbilligend,
hinweg.
Wang San
reckte nun auch den Kopf und sah aus dem Fenster. Auf der anderen Straßenseite kletterten
zwei Frauen mit Farbeimern und Farbrollern auf das Gerüst vor dem ›Ahrstübchen‹
und machten sich daran, die Fassade zu streichen. Beide waren blond. Wang San lächelte.
Blondes Haar war für ihn wie für fast alle Chinesen der Inbegriff westlicher Schönheit,
und er spürte, wie sein Herz begann, schneller zu schlagen.
6
Die Räder der beiden Einkaufswagen
ratterten über den Boden des Baumarktes. Bruni und Caro schoben mühsam die voll
beladenen Gefährte vor sich her, während Ulrike und Bea immer wieder in den Gängen
zwischen irgendwelchen Regalen verschwanden.
»Was suchen
sie denn jetzt noch?« Mit einer ungeduldigen Kopfbewegung wies Bruni in einen Gang,
in dem sie Bea und Ulrike vermutete. Ihrer Stimme war
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