Mit anderen Augen (German Edition)
nicht die geringste Kondition. Es ist erstaunlich, wenn ich bedenke wie alt er ist, oder besser gesagt wie jung. Ihn etwas fitter zu machen, wird ein hartes Stück Arbeit werden. Sein Vater war da ein anderes Kaliber. Zwar kein Sportler, aber in Form hielt er sich trotzdem. Was mit Sicherheit kein Nachteil war, um an so jungen Dinger zu kommen, mit denen er seine Frau betrogen hat.
Ich sehe Jannik fragend an. „Warum wolltest du ihn tot sehen?“
„Was?“, fragt Jannik mit einem verständnislosen Blick.
„Deinen Vater“, werde ich konkreter, obwohl ich nicht einmal weiß, warum ich danach gefragt habe. „War es wegen seiner Affären?“
Jannik winkt ab. „Wen interessiert das jetzt noch? Er ist tot.“
„Mich“, antworte ich, denn dass er der Frage genauso ausweicht wie in Baltimore, ärgert mich mehr, als ich je zugeben würde.
„Na und? Das heißt noch lange nicht, dass ich es dir sage.“
Ich stöhne genervt auf. „Kannst du bitte mal aufhören, dich wie ein Kleinkind zu benehmen.“
„Was soll denn das jetzt bitteschön heißen?“, fragt Jannik gereizt.
„Ich habe dir den Hintern gerettet, schon vergessen?“
„Und?“
Dieser Bengel treibt mich noch in den Wahnsinn. „Hör' mir mal gut zu, Kleiner. Ich weiß, dass du das Ganze am liebsten als Spiel ansehen würdest, aber das ist es nicht. Wir sind nur noch am Leben, weil ich so gut darin bin, genau das zu tun, nämlich am Leben bleiben. Es mag dir vielleicht entfallen sein, wer hinter uns her ist, mir aber nicht. Und ich finde es nicht zuviel verlangt, wenn du mir ab und zu mal ein klein wenig entgegenkommen würdest.“
Einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass Jannik mich angreifen will, aber er tut es nicht. Stattdessen richtet er sich auf, stemmt beide Hände in die Seiten und sieht mich ruhig an. „Ich habe keine Ahnung, welche Laus dir letzte Nacht über die Leber gelaufen ist, aber deine miese Laune kannst du dir an den Hut stecken, kapiert?“
Was zuviel ist, ist zuviel. „Du wärst schon längst tot, wenn ich nicht wäre“, schreie ich Jannik unbeherrscht an, was ihn erst völlig verblüfft, doch dann schaltet er auf stur, ich kann es ihm ansehen.
„Ich habe dich nicht darum gebeten, Zack. Ich habe nicht gesagt, du sollst mich nachts aus meiner Wohnung zerren und dann monatelang durch die Gegend kutschieren...“
„Ach so, dann willst du wieder zurück? Kein Problem, ich kauf' dir ein Flugticket“, herrsche ich ihn an und da platzt Jannik der Kragen.
„Hör' endlich auf mit dieser blöden 'einsamer Wolf'-Nummer, Zack. Die zieht schon längst nicht mehr. Ja, ich bin dir dankbar, dass du mir das Leben gerettet hast, aber das gibt dir nicht das Recht, mir deshalb ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, nur weil ich dir nichts von meinem Vater erzählen will. Er war ein Arsch, das weißt du doch. Reicht das nicht?“
„Nein“, erkläre ich störrisch, obwohl mir klar ist, dass ich mich damit noch tiefer in die sprichwörtliche Scheiße reite, aber ich kann mich einfach nicht beherrschen.
Jannik schnaubt. „Was ist eigentlich los mit dir? Seit du mich vorhin geweckt hast, bist du stinksauer. Wieso?“
„Ich bin nicht sauer. Ich habe dir nur eine Frage gestellt.“
„Klar, du bist die Lebensfreude pur. Dir strahlt die Sonne geradezu aus dem Arsch“, kontert er bissig und ich presse sicherheitshalber die Lippen aufeinander, weil ich sonst garantiert etwas sage, das ich später bereuen würde. „Und was die Frage nach meinem Vater angeht, Mister Superkiller... Finde es selbst raus!“
Purer Trotz spricht aus seinen Augen, aber da hat er sich mit mir den falschen Gegner ausgesucht. Jannik schnappt erschrocken nach Luft, als ich den Abstand zwischen uns mit nur einem Satz überbrücke und meine Hand im nächsten Moment an seiner Kehle liegt, bevor ich ihn zu Boden werfe und mit meinem Körpergewicht unter mir festnagle. Eine Hand an seinen Hals, ein Knie mit festem Druck auf seiner Brust.
In dreißig Sekunden werden seine Rippen brechen. In einer Minute wird er erstickt sein.
In seinen Augen steht die blanke Panik und ich warte genau zwanzig Sekunden, bevor ich ihn loslasse, damit er husten und atmen kann. Was er auch tut und es dauert lange, bis er sich wieder beruhigt hat. Zu lange für meinen Geschmack. Er hat nicht nur keine Kondition, er bietet mir auch keinen Widerstand. Mit seinen einundzwanzig Jahren ist Jannik hilflos wie ein Kind. Ich war schon mit fünfzehn bedeutend wehrhafter als
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