Mit anderen Augen (German Edition)
er.
„Wieso hast du das getan?“, fragt er schließlich und setzt sich auf. Er fängt an zu zittern, der Schock setzt ein. Die Joggingrunde ist vorbei, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Für ihn zumindest.
Ich stehe auf und nehme Abstand von ihm, angeekelt von mir selbst. „Geh' zurück ins Haus und nimm' eine Dusche. In einer Stunde bin ich wieder da und dann wirst du mir sagen, was ich wissen will.“
„Warum? Es ist dir doch scheißegal“, murrt Jannik und reibt sich den Hals, der spätestens morgen in allen Farben schillern wird.
„Nein, ist es nicht.“
Mit den Worten lasse ich Jannik auf dem Waldweg zurück und laufe los. Es ist besser, wenn ich mich jetzt auspowere und ihm etwas Zeit für sich lasse. Aber vor allem brauche ich Zeit für mich, denn in all der Zeit, die wir zusammen unterwegs sind, habe ich ihn nicht ein Mal angegriffen. Ich habe nicht mal darüber nachgedacht. Doch eben hätte ich ihn fast erwürgt. Was ist nur mit mir los? Kopfschüttelnd erhöhe ich mein Tempo, als mir keine Antwort auf die Frage einfällt. Ich habe Jannik beinahe getötet. Wegen schlechter Laune und einer Frage, die er mir nicht beantworten will.
Was ist aus meiner Selbstbeherrschung geworden, auf die ich immer so stolz war?
Das Blockhaus ist leer, als ich zurückkomme und um ehrlich zu mir selbst zu sein, es wundert mich nicht. Irgendwie hatte ich im Gefühl, dass er weg sein wird und ein kleiner Teil von mir hoffte sogar, dass er einen Versuch wagt und davonläuft. Ich werde ihn wieder einfangen. Das dürfte bei seinem Nichtwissen übers Flüchten kein Problem sein. Aber vielleicht begreift Jannik auf diese Weise endlich, dass das Ganze kein Spiel ist.
Ich gehe erstmal duschen und mache mir danach Frühstück. Einen Vorsprung hat er sich verdient, also bekommt er ihn.
Es hilft ihm aber nicht, denn die Verkäuferin in der Poststation, die gleichzeitig auch Bustickets verkauft, erinnert sich natürlich an Jannik. Offenbar will er in der nächsten Stadt in den Greyhound steigen. Ihre Neugier ist unübersehbar und vermutlich wird morgen jeder in der Stadt wissen, dass Jannik und ich Beziehungsprobleme haben. Damit werden wir dann wohl leben müssen.
Ich bin jedenfalls dankbar über die Neugierde der Verkäuferin, denn sie beschert mir eine Stunde später den perfekten Ausblick auf Janniks fassungslosen Gesichtsausdruck, als er aus dem Bus steigt und mich am Bussteig vorfindet.
Er starrt mich eine ganze Weile wortlos an, dann schultert er seinen Rucksack, nimmt die Katzenbox mit Bob und kommt auf mich zu. Wortlos drückt er mir die Box in die Hand und stellt sich neben mich. Bob maunzt empört, daher gilt mein nächster Blick dem Kater, der eindeutig beleidigt ist, was sein Knurren und ein Biss beweisen, als ich den Finger durchs Gitter schiebe. Ich werde Leckerlis für ihn besorgen müssen, um ihn wieder friedlich zu stimmen, aber das muss warten. Ich sehe zu Jannik, der mürrisch auf den Boden starrt.
Einen Vorwurf kann ich mir sparen, immerhin bin ich selbst Schuld an der Situation. „Komm mit. Wir fahren zurück.“
„Und dann?“, fragt er unsicher.
„Bist du mir eine Antwort schuldig.“
„Arschloch“, murrt Jannik darauf, was mich fast zum Grinsen bringt, aber nur fast. Ich sollte mich öfter von ihm beleidigen lassen, wenn das meine Laune hebt.
„Kleinkind“, kontere ich locker. Jannik schnaubt, aber ich lasse ihn nicht mehr zu Wort kommen. „Wir holen Leckerlis für Bob und fahren zurück. Und dann werden wir reden. Das ist lange überfällig.“
Natürlich geht es nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte, denn Jannik verschwindet nach unserer Rückkehr schnurstracks unter die Dusche und Bob hinterlässt ein deutlich sichtbares Statement auf meinem Kopfkissen, nachdem er sämtliche Leckerlis verschmäht hat.
„Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, aber danke, dass du es mir mit so viel Gefühl zeigst“, erkläre ich dem Kater beleidigt, während ich die Sauerei wegmache und das Fenster öffne, um zu lüften. Der Kater hat eine Duftmarke, die mit Worten nicht so leicht zu beschreiben ist.
„Was stinkt hier so abartig?“ Jannik tritt in mein Zimmer, sieht die Bescherung und lacht los.
„Ja, danke für dein Mitgefühl“, murre ich, muss aber selbst grinsen, weil er mit beiden Händen entschuldigend winkt, um gleichzeitig nur lauter zu lachen. „Das ist überhaupt nicht lustig.“
„Sorry... sorry...“ Jannik sieht mich entschuldigend an. „Das hat
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