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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Christus zu retten? War dies der Moment, sich selbst zu erlösen?
    Er wollte gerade in den Fackelschein vortreten, als er Schritte an der anderen Straßenecke hörte. Ein Mantel wehte, als der Neuankömmling sich zu der Gruppe gesellte. Er hob den Arm, und im orange Glühen des Feuers funkelte ein Rapier. «Lass diese arme Seele in Ruhe, du Abschaum!»
    Caravaggio erkannte den wütenden und arroganten Tonfall.
    «Hau ab», sagte der Würger.
    Mit einer eleganten Handbewegung zerschnitt Roero die Kniesehne des Mannes.
    Einer der Schläger ergriff sofort die Flucht. Auch der Jüngere, der die Fackel hielt, machte Anstalten zu gehen. Aber Roero hielt ihn, indem er ihm die Spitze seiner Waffe auf die Brust setzte, fest. «Gib mir das Licht. Hilf diesem Mann auf und lass ihn gehen.»
    Der junge Mann reichte Roero die Fackel. Er blickte auf den an der Wand zusammengesunkenen Sklaven und auf den Mann, dessen Peiniger gewesen war und der sich jetzt im Dreck wälzte und atemlos vor Schmerz sein verletztes Bein umklammerte. «Ihm aufhelfen?», sagte der junge Mann. «Welchen meint Ihr?»
    «Ich mache es dir leichter.» Roero stieß dem verwundeten Würger das Rapier ins Herz. «Ist das jetzt klar genug?»
    Roero ging mit der Fackel in Richtung Corso. Der junge Mann folgte ihm und stützte den torkelnden Sklaven.
    Wäre Roero nicht durch die Misshandlung des Sklaven abgelenkt worden, hätte nun Caravaggio tot unter der Degenspitze des Ritters gelegen. Die Erleichterung trug ihn so schnell durchdie Dunkelheit zum Palazzo Stigliano, dass seine Füße kaum den Schmutz und das Straßenpflaster zu berühren schienen.
    Im Atelier machte er sich sofort an die Arbeit. Er entrollte die Leinwand, verlängerte sie durch den Umschlag, den er um den ersten Rahmen gelegt hatte, um mehr Fläche zu haben, falls er die Komposition während der Arbeit verändern wollte. Er verbreiterte den Rahmen um einen Fuß und verstrich die Löcher der Reißnägel mit Gips. Damit schaffte er Platz für einen weiteren Folterer Christi. Den ehrwürdigen, knienden Stifter auf der rechten Bildseite übermalte er.
    Caravaggio arbeitete die ganze Nacht und den folgenden Tag. Er richtete das Licht auf den Oberkörper Christi und rief sich dabei den Schock ins Gedächtnis, den er bei jedem der Schläge, die der Sklave im Spanischen Viertel erleiden musste, empfunden hatte. Dem Gesicht des Folterknechts zur Linken Jesu verlieh er die furchterregende Rohheit des Mannes, der unter Roeros Klinge gestorben war. Der zweite Folterknecht trat gegen Christi Wade und zwang ihn dadurch zu einer schmerzhaft verkrümmten Haltung, während der andere ihn an den Haaren zog und zum nächsten Schlag ausholte.
    Im letzten Nachmittagslicht saß er in seinem Atelier auf einem Hocker und trank Wein aus einer Flasche. Es lagen noch viele Pinselstriche vor ihm, aber jetzt hatte er es. Die
Geißelung
ertrank in Grausamkeit und Schmerz. Sie stank wie ein Mord in einer Seitengasse. Er musterte das bösartige Vergnügen auf dem Gesicht des Mannes an Jesu Schulter. Er fragte sich, ob es das war, was die Leute auf seinem eigenen Gesicht sahen, wenn ihn der Zorn übermannte. Der Gedanke beschämte ihn.

9
Petrus verleugnet Jesus

    Costanza kam mit einem Brief in Caravaggios Atelier. Sie fand ihn zurückgelehnt auf seiner Bettstatt, als sähe er der Ölfarbe auf
Salome erhält das Haupt des Täufers
beim Trocknen zu. Er arbeitete schon seit einer Woche an dem Bild. Er hegte die Absicht, Wignacourt das Gemälde zu schicken, in der Hoffnung, dem Großmeister zu gefallen, sodass er Roero nach Malta zurückbeorderte.
    «Gute Nachrichten von Kardinal del Monte aus Rom.» Costanza versuchte, im Zwielicht auf Caravaggios Gesicht zu lesen, und fand dort düstere Vorahnungen, pur und animalisch. «Du wirst begnadigt.»
    Er blies die Backen auf, als hätte er bis zum Eintreffen dieser Nachricht nicht mehr zu atmen gewagt.
    «Der Kardinal schreibt, dass Scipione die Tomassonis auszahlt. Im Gegenzug trachten sie dir nicht mehr nach dem Leben.»
    Er nahm Costanzas Hände und küsste sie.
    Sie spürte den Druck seiner Hände, als hätte er sie am ganzen Körper berührt. Mit der Handfläche strich sie ihm über den Bart. «Noch bist du nicht in Rom, Michele.»
    «Ich werde vorsichtig sein», sagte er. Er küsste ihr noch einmal die Hand, lief die Stufen empor und machte sich auf die Suche nach einer, die sein Glück mit ihm teilen würde.
    ∗
    Im Eingang zur Taverna Cerriglio berührten seine Finger den Brief

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