Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
del Montes, den er sich in sein Wams gesteckt hatte. Er ging durch den Vorderraum und den Torbogen ins Hinterzimmer der Taverne, in das ehrenwerte Leute, die nicht dabei gesehen werden wollten, wenn sie ein so verrufenes Lokal betraten, durch einen Seiteneingang gelangen konnten. Er lief direkt in den Hinterhof, dessen Mauern mit Sprüchen geschmückt waren, die die Freuden von Speis und Trank feierten. Stella saß auf dem Rand des kleinen Brunnens und ließ ihr Haar von der Sonne bleichen. Die langen, rotbraunen Strähnen, die sie über eine breite Hutkrempe gelegt hatte, glänzten wie Mahagoni. Sie sah die Freude auf seinem Gesicht. «
O’ntufato
», sagte sie, «ich muss mir einen neuen Spitznamen für dich ausdenken.»
∗
Stella öffnete den Fensterladen. Die Sonne stach durch Caravaggios Augäpfel in die pulsierende Trockenheit in seinem Kopf. Er drehte sich im Bett zur Seite und unterdrückte ein Würgen.
Stella hatte bereits ihr rotes Kleid angezogen. «Ich sage Ugo Bescheid, dass er dir eine Focaccia zurücklegt. Das beruhigt deinen Magen.»
Er sah sie stirnrunzelnd an. Sie schüttelte den Kopf. In ihr Lächeln mischte sich Bitterkeit. «Wenn ich jedes Mal einen Dukaten bekäme, wenn ich auf dem Gesicht eines Mannes diesen unruhigen ‹Was habe ich letzte Nacht bloß gemacht?›-Blick sehe, hätte ich eine Aussteuer, mit der ich Marchesa werden könnte.»
«Ich stelle mir dich nicht so sehr als neue Adelige vor. Du bist eher der Mensch, der einem Nonnenkloster etwas stiften würde.»
«Du bist immer noch sarkastisch. Also kannst du gar nicht so verkatert sein. Offensichtlich versuchst du dich zu erinnern. Ichhelfe dir mal auf die Sprünge: Gestern Abend hast du dich mit niemandem geschlagen und bist eingeschlafen, als ich mich ausgezogen habe. Und ganz gleich, was ich gemacht habe, du warst nicht mehr wach zu kriegen. Es war, als hättest du seit Jahren nicht mehr fest geschlafen.»
Er wollte ihr sagen, dass das stimmte, hatte aber nicht genügend Speichel, um seine Zunge zu befeuchten.
«Komm runter, wenn du essen willst.» Sie machte die Tür zu.
Nachdem er sich angezogen hatte, verlor er schlagartig seine Trägheit, und plötzlich war er alarmiert. Del Montes Brief war verschwunden. Er ging durchs Zimmer, durchsuchte Stellas kärgliches Mobiliar und durchwühlte die Kleider in ihrer Truhe. Er war nicht mehr da. Ihm wurde schwindelig vor Übelkeit. Er musste etwas essen, um sich zu beruhigen und klar denken zu können, damit er den Brief wiederfand. Er ging zum Essen nach unten.
Die Focaccia schmeckte zäh und bitter. Er lehnte sich kauend zurück und stieß mit dem Kopf gegen einen großen Käselaib, der zum Reifen aufgehängt war. Der Koch sah, wie er das Gesicht verzog. Er rollte noch einen Teigklumpen aus, beträufelte ihn mit Rosmarin und schob ihn in den Ofen. «Na, fällt’s mal wieder schwer?»
Caravaggio rieb sich den Kopf und starrte den Käse vorwurfsvoll an. «Was ist denn mit der Focaccia passiert, Ugo?»
«Während der Nacht ist Scirocco aufgekommen. Das wusste ich schon beim Aufwachen. Ich habe dann so einen Druck auf den Ohren. Macht mich wahnsinnig. Aber wenn der feuchte Wind bläst, werden nicht nur die Leute reizbar. Auch die Zutaten in der Focaccia benehmen sich anders.»
«Soll das ein Witz sein?»
«Es stimmt. Sieh dich heute vor, Michele. Wenn der Scirocco nach Neapel kommt, benehmen sich alle daneben – sogar mein Teig.»
Caravaggio trank einen Becher Wein und trat auf die Böschung vor der Taverne hinaus. Die vom Scirocco herangewehten Wolken schienen die Sonne nach unten zu pressen. Sie lag gleißend auf den Dächern und feuchten Pflastersteinen. Er blinzelte und begab sich auf die im Schatten liegende Straßenseite. Im undurchdringlichen neapolitanischen Dialekt klangen alle Stimmen wie eine Drohung. Plötzlich war er sich seiner Verwundbarkeit bewusst.
Zu seiner Rechten näherte sich die Silhouette eines Mannes. Er strich sich mit den Fingern übers Kinn. Caravaggio griff nach seinem Dolch, aber jemand, der an seine linke Seite getreten war, hielt ihm die Hand fest.
Zwei andere Männer packten ihn von hinten. Während sie miteinander rangen, atmeten sie heftig. Die Sonne blendete ihn.
Etwas Kaltes strich an seiner rechten Wange entlang. Ein Sonnenstrahl fiel auf die Schneide eines Dolchs. Caravaggio hatte einen Schnitt abbekommen. Die Männer, die ihn festhielten, traten ihm gegen die Beine. Als er hinfiel, stießen sie ihm leise lachend die Knie in die
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