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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Etwas stimmte nicht mit ihrem Gesicht. Er starrte ihren Mund an. Ihre Zähne waren winzig und unregelmäßig.
    «Meine Milchzähne», sagte sie. «Sie fallen nie aus.»
    Die Zähne eines unschuldigen Mädchens im geschminkten Gesicht einer Hure. Er rechnete damit, dass ihr Mund den Schrei eines verhungernden Kindes ausstoßen würde, aber stattdessen lachte sie nur rau und biss ihn in den Hals.
    Der Wirt brachte einen Krug granatroten Alianico und einenTeller Artischocken. Er teilte sein Mahl mit Stella. Sie hob ihren Becher. «Auf dass das Blut des heiligen Gennaro fließen möge wie dieser Wein.»
    Das Wunder
, erinnerte Caravaggio sich,
die Phiole mit getrocknetem Blut aus den Adern des Heiligen, das sich in der Kathedrale dreimal im Jahr verflüssigt
. Er hob sein Glas und lächelte skeptisch.
    «Du zweifelst,
O’ntufato
?», sagte Stella. «Wenn das Blut nicht flüssig wird, ist das sehr schlecht für Neapel. Immer wenn das Wunder ausbleibt, bricht der Vesuv aus oder Armeen marschieren ein oder es gibt Missernten oder die Pest bricht aus.»
    «Mach dir keine Sorgen», sagte Caravaggio. «Wo ich bin, fließt immer Blut.»
    Ein Anflug von Angst verschattete ihr Gesicht.
    Er legte ein paar Münzen auf den Tisch, streichelte dem Mädchen über die Wangen und ging zur Tür. «Wenn das Blut des Heiligen nicht fließt, kannst du etwas von meinem haben.»
    Der Mond war nur eine scharfe Sichel. Caravaggio stolperte durch fast vollständige Dunkelheit. Er blieb stehen und lauschte, ob man ihn verfolgte. Es war töricht, zu so später Stunde die Sicherheit des Palastes verlassen zu haben. Er sog den Weingeschmack aus seinen Schnurrbartspitzen und entschied sich für den Weg durch die Gassen des Spanischen Viertels. Dort waren weniger Menschen unterwegs, und er würde leichter merken, ob man ihm folgte.
    Er ging ein paar Straßenecken aufwärts und bog dann links nach Chiaia ab. Hundert Schritte vor ihm loderte eine einzelne Fackel. Er näherte sich vorsichtig und tastete sich an den Wänden der stillen Häuser entlang. Im Fackelschein schwankten die Silhouetten von vier Männern. Wütende Stimmen hallten von den Wänden der Mietshäuser wider.
    Beim Näherkommen sah Caravaggio, dass einer der Männer gefesselt und sein Hemd zerrissen war. Vor der Mauer hockte ein anderer Mann auf den Fersen und hielt die Fackel. Die beidenanderen misshandelten den Gefangenen. Sie traten ihm in die Kniekehle, und er stolperte. Einer der Männer riss an dem Seil, mit dem die Handgelenke des Gefangenen gefesselt waren, und zog ihn rückwärts. Die Männer schrien in einer Sprache, die Caravaggio nicht kannte. Sie klang kehlig und rauchig wie die Sprache der Malteser.
Arabisch
, dachte er.
Das ist ein Sklave.
    Der Mann, der das Seil hielt, hob den Fuß und trat dem Sklaven in den Hintern, riss mit einer Hand am Seil und packte mit der anderen die langen, dunklen Haare des Sklaven. In seinem Knurren lag eine derart dämonische Intensität, dass Caravaggio vor Angst mit den Zähnen klapperte.
    Sie lachten und verhöhnten den Sklaven. Der Mann mit dem Seil zog dem Sklaven die Arme nach oben und trat ihm mit dem Fuß in den Rücken. Ein Schmerzensschrei warf in der Straße Echos.
    Verwirrt und ängstlich ging Caravaggio langsam bis zur Straßenecke. Er hätte der Sache ein Ende bereitet, aber sie waren zu dritt, und er hatte nur seinen Dolch.
    Der zweite Mann schlug dem Sklaven mehrfach auf den Nacken. Bei jedem Schlag bewegte sich der verdrehte Oberkörper des Opfers aus der Dunkelheit in den hellen Fackelschein. Die Brustmuskulatur des Sklaven pulsierte im Licht.
    Der Mann, der das Seil hielt, gab es an seinen Kumpan weiter. «Mein Magen bringt mich um», sagte er. In den schwankenden Schatten eines Eingangs ließ er die Hose herunter und entledigte sich stöhnend und geräuschvoll seines Durchfalls.
    Sein Kumpan deutete kichernd auf den Sklaven. «Bevor dieser Heide zur Hölle fährt, verreckst du an deinem Dünnschiss.»
    Der Mann stand auf und band sich die Hose wieder zu. «Vielleicht scheiße ich mich zu Tode, aber ich will verdammt sein, wenn ich dieses Arschloch nicht überlebe.» Er schob den Sklaven an die Wand und presste ihm die Hände um den Hals.
    Caravaggio spürte, wie sich ihm die Kehle zusammenzog, als wäre er selbst der Gewürgte. Er stellte sich die
Geißelung
in seinem Kelleratelier vor. Was hätte er getan, wenn er in dem Kerker gewesen wäre, in dem die Legionäre Unseren Herrn gefoltert hatten? Hätte er es riskiert,

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