Mit dem Blick aufs weite Meer
auf dem Ständer.” Angela hatte das Band beim Abmessen ziemlich weit von der Rolle abgewickelt. Das Aufwickeln war für Scott eine interessante Beschäftigung und würde ihn daran hindern, ihr beim Zuschneiden helfen zu wollen.
Sally, durch die fortschreitende Schwangerschaft immer schwerfälliger geworden, watschelte zur Kaffeemaschine hinüber und machte ein bedenkliches Gesicht. “Besser nicht”, beschloss sie. “Wenn dieser kleine Teufelsbraten endlich da ist, dann werde ic h den Kaffee literweise trinken.”
“Dann wirst du stillen”, erinnerte Angela sie lächelnd. “Möchtest du einen Kräutertee? Stell doch den Kessel mit Wasser schollt auf, ich komme gleich zu euch. Was hat der Arzt zu dir gesagt?”
Ihre Schwägerin verzog das Gesicht. “In knapp zwei Wochen ist es soweit, falls ich nicht vorher vor Hitze umkomme.” Sally schüttelte den Kopf, und ihre hellblauen Augen blickten vor wurfsvoll. “Dieser Mann hat behauptet, nicht der Sommer wäre ungewöhnlich heiß, sondern mein körpereigener Thermostat sei durcheinandergeraten.” Sie legte die Hände auf den unförmigen Bauch und meinte: “Wir hätten es diesmal wirklich besser planen sollen, denn bei Scott war es genauso. Es ist viel besser, im Winter schwanger zu sein, weißt du. Da ist es ganz angenehm, wenn einem warm ist.”
Angela lächelte, weil sie wusste, dass Sally und Barney seit Scotts Geburt versucht hatten, ein zweites Kind zu bekommen. Dabei hatte Sommer oder Winter überhaupt keine Rolle gespielt.
Nachdem Sally zu Barney in die Werkstatt gegangen war, konzentrierte sich Angela wieder auf das Zuschneiden der Segelsäcke und warf dabei ab und zu einen Blick auf Scott.
“Ich will nähen”, verkündete Scott, nachdem er mit dem Aufwickeln fertig war.
“Einverstanden. Möchtest du rot?”
Seine Augen leuchteten. “Kann ich auch Segelsäcke machen?”
Sie fädelte rotes Nähgarn in die kleine Kompaktnähmaschine, hob dann zwei lange Reste ihrer Zuschnitte vom Boden auf und gab sie Scott. Er hatte vor ungefähr einem Jahr gelernt, mit dieser Maschine umzugehen, und obwohl er in wilden Zickzacklinien nähte, riss der Faden nur selten ab. Sie hatte ihren kleinen Neffen bei der Arbeit gern in ihrer Nähe.
Wenn ihr Baby am Leben geblieben wäre…
Sie verbannte den Gedanken sofort, denn es war sinnlos, der Vergangenhe it nachzutrauern.
Nachdem sie die beiden langen Teile des Großsegelsacks zusammengelegt hatte, machte sie sich an das Zuschneiden für den dazugehörigen Vorsegelsack.
Die Ladentür wurde ein zweites Mal aufgerissen, und ein uniformierter Bote von UPS kam hereingestürmt. Angela quittierte die Lieferung von zwei Ballen Segeltuch sowie drei weiteren Paketen und gab dem Boten eines mit Segeltuchhemden für ein Sportgeschäft in Seattle mit. Falls noch mehr Bestellungen für die von ihr entworfene Freizeitmode eingehen würden, müsste sie eine Näherin einstellen. Sie war gerade beim Zuschneiden, als die Ladentür wieder geöffnet wurde.
“Harvey, was .. ?” Sie hörte mitten im Satz auf, als sie den Mann hinter Harvey erkannte.
Vor lauter Schreck verschnitt sie auch noch den Stoff, so dass sie für diese beiden Teile jetzt eine andere Verwendung finden musste.
Scott stand von der Nähmaschine auf und zog die roten Stoffteile unter dem Nähfuß heraus.
“Scottie, Liebling, du musst den Faden abreißen. Er hängt noch am Stoff, ermahnte ihn Angela.
Der Junge beugte sich wieder über die Maschine und erklärte dabei seinem Großvater: “Es ist eine Persenning für ein Spielzeugsegelschiff.” Er legte sein Kunstwerk neben Angelas verschnittene Stoffstücke auf den Tisch und verkündete: “Ich möchte ein rotes Fischerhemd haben.”
“Noch eines?” fragte Harvey. Er lächelte, aber sein Gesicht sah grau und müde aus. Kent Ferguson, der immer noch hinter ihm stand, ließ den Blick von den unordentlich auf den Boden liegenden Stoffresten zu Scotts weißblondem Haarschopf wandern.
Harvey forderte Kent mit einer einladenden Geste zum Hereinkommen auf und sagte:
“Kent, das ist meine Schwiegertochter Angela. Sie ist eigentlich hier die Chefin. Sie macht die Buchhaltung, alle Segelarbeiten und hält uns alle in Trab.”
“Wir kennen uns”, erwiderte Kent kurz angebunden. “Von Charlottes Boot.”
Angela blickte ihn argwöhnisch an und überlegte, warum seine Gegenwart sie eigentlich immer so verwirrte. Dabei war er derjenige, der sich in seiner eleganten Kleidung fehl am Platz fühlen müsste.
Weitere Kostenlose Bücher