Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
ebenso wie im großen Rudel. Seine Anpassungsfähigkeit steht nur der des Menschen nach, hinsichtlich seiner innerartlichen Variation übertrifft er diesen sogar. Es gibt reinweiße und völlig schwarze Wölfe, rotbraune und eben auch die grauen bei uns in Europa. Es gibt Wölfe, die ausgewachsen keine zwanzig Kilo wiegen und andere, weiter nördlich, die viermal so schwer sind.
In der Tat steht kein Tier in Bezug auf Ernährungs- und Lebensweise dem Menschen näher. Als opportunistischer Jäger besetzt der Wolf die gleiche ökologische Nische wie einst unsere steinzeitlichen Vorfahren. Wie diese lebt er bevorzugt in der Großfamilie mit mehreren Generationen zusammen. Und ebenso verteidigt auch er sein Revier gegen fremde Eindringlinge.
So lebten beide Jäger über lange Zeit neben und wohl zum Teil auch voneinander. Die Wölfe plünderten regelmäßig die Abfallhaufen der Menschen und hielten deren Lager dadurch sauber. Und umgekehrt konnten die Menschen sicher manchmal den Wölfen ihre Beute abtrotzen und so Nahrungsengpässe überstehen. Ein Bündnis auf Gegenseitigkeit, wenn auch der Dominantere von beiden damals schon feststand: der Mensch.
Zum Ende der letzten Eiszeit, vor ungefähr fünfzehntausend Jahren, bekam diese lockere Verbundenheit zwischen Mensch und Wolf auf einmal eine neue Dimension. Irgendwer begann, kleine Wolfswelpen aufzuziehen. Vermutlich war es eine Frau, denn nur sie verfügte damals über die für die Welpen lebensnotwendige Milch. Andere Haustiere gab es noch nicht. So legte sie die Welpen an ihre Brust, zähmte sie und ließ sie danach in ihrer Hütte zusammen mit ihren eigenen Kindern aufwachsen. Aus dem wilden Wolf wurde der Hauswolf und aus diesem viele Generationen später unser erstes Haustier, der Hund.
Damit begann eine lange und erfolgreiche Freundschaft. Bald jagten sie auch gemeinsam, und zwar so geschickt, dass viele Wildtierarten immer seltener wurden. Auf der Suche nach neuen Jagdgründen drangen sie gemeinsam auf neue Kontinente und in immer entferntere Regionen der Erde vor und besiedelten zum Ende der Eiszeit schließlich nahezu die ganze Erde.
Bis auf wenige Ausnahmen gab es seitdem keine menschliche Kultur ohne Hunde. Mehr noch, mit dem Hund als Vorbild wurden vielerorts neue Haustiere domestiziert und damit die größte Kulturrevolution aller Zeiten eingeleitet: die Weiterentwicklung des Menschen vom Jäger und Sammler zum Bauern und Hirten.
Ob dieser folgenschwere Entwicklungsschritt am Ende für Hund und Mensch gut war, wird erst die Zukunft erweisen. Für den Dritten im Bunde jedoch, für den wild gebliebenen Wolf, waren die Folgen fatal. Denn er wurde jetzt zum Konkurrenten für Jäger und Hund um schwindende Beute und zudem für den Bauern und Hirten zum schlimmsten Feind.
Trotzdem dauerte es noch viele Jahrtausende, bis dem Wolf das ganz und gar negative Erscheinungsbild zugesprochen wurde, wie wir es heute kennen, bis zum Verführer kleiner Mädchen mit rotem Käppchen, zum gefräßigen Wüstling, zur gefährlichen Bestie. Bei vielen nordamerikanischen Indianerstämmen galt er als Symbol der Schöpfung und der ethnischen Identität. Auch Dschingis Khan soll nach der „ Geheimen Geschichte der Mongolen“ von einem Wolf abstammen. In der Mythologie der Germanen begleiten zwei Wölfe Odin, den höchsten Gott, und schützen ihn vor allen Gefahren. Und das alte Rom schließlich wurde der Sage nach von Romulus und Remus gegründet, die ihr Leben einer Wölfin verdanken. So gilt in Italien bis zum heutigen Tag die Wölfin als Symbol mütterlicher Liebe und Aufopferung.
Zum Symbol des Bösen wurde der Wolf bei uns erst zu Beginn des Mittelalters. So forderte Karl der Große von seinen Rittern nicht nur den bedingungslosen Kampf gegen die heidnischen Sachsen, sondern auch gegen den Wolf. Und dieser Krieg dauerte länger als der zur Einigung des Reiches. So geht die heute noch bestehende Louveterie in Frankreich auf die vor mehr als tausend Jahren eingeführten Wolfsjäger des Kaisers zurück. Heute haben sie, nach ihrem totalen Sieg über den Wolf, naturgemäß andere Aufgaben übernommen. Doch damals galt es, Wild und Haustiere gegen die Wölfe zu schützen. Denn mit der zunehmenden Entwaldung Mitteleuropas und dem enormen Jagddruck des Adels auf das Wild blieb den Wölfen nichts anders übrig, als sich an den wenigen Haustieren der Bauern schadlos zu halten.
Wenn auch das Problem von Menschen selbst verschuldet war, der Hass und die Angst vor dem Wolf der
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